Menschenteufel
mich jetzt ehrlich überrascht«, erklärte Bashtrin,
ohne jegliche Anzeichen des behaupteten Gemütszustandes zu zeigen. Wie konnte
man mit so einem Menschen Geschäfte machen? Freund kannte die Antworten der
Banker, Vermögensverwalter, Investoren und Partner: Weil sie sonst jemand
anderer machen würde. Weil er unbescholten war. Weil man mit niemandem mehr
Geschäfte machen konnte, wenn man alles auf die Goldwaage legte.
Entspannt nippte sein Gegenüber am Eistee. »Um die
VidVim-Beteiligungen kümmern sich die dortigen Vorstände. Es müssen über drei
Dutzend sein.«
»Sechsundfünfzig«, korrigierte ihn Tognazzi.
»Na, sehen Sie. Da kann ich unmöglich jeden Vorstand kennen.«
»So viele sind das aber auch wieder nicht«, merkte Freund bissig an.
Oberinspektorin Serena Tognazzi würde Tonnen von Akten durcharbeiten
müssen, um vielleicht ein Sitzungsprotokoll zu finden, in dem Bashtrins und Wusters
Namen gemeinsam auftauchten. Aber wahrscheinlich war der Albaner vorsichtig
genug gewesen. Und selbst wenn sie etwas fand, was bewies das schon? Dass
Bashtrin sie angelogen hatte. Na und? Das tat dieser Mann bei jedem zweiten
Wort. Es brachte sie dem Mörder keinen Schritt näher.
»Dann ist Ihnen Valentin Murnegg-Weiss vermutlich ebenfalls
unbekannt?«
Bashtrin seufzte. »Ich kenne viele Leute. Aber nun auch nicht jeden.
Ich muss zugeben, der Name sagt meinem Hinterkopf etwas. Ich könnte ihm jetzt
aber weder ein Gesicht noch eine Funktion zuordnen.«
Die Formulierung faszinierte Freund: »eine Funktion zuordnen«. Wie
keine andere offenbarte sie die Haltung der Bashtrins dieser Welt. Menschen
wurden in Funktionen eingeteilt, in Gebrauchsnutzen, wie die Teile einer
Maschine. Das machte es leicht, sie bei Bedarf einfach auszutauschen und durch
andere zu ersetzen.
»Ehemaliger Beamter in der Abteilung für Stadtplanung.«
Bashtrin hob gelangweilt eine Augenbraue. »Ich sehe, wohin das
führen soll. Wird es aber nicht, ich muss Sie enttäuschen. Zudem muss ich
gestehen, dass dieses Gespräch zunehmend espritlos wird. Wenn Sie keine
weiteren Fragen haben, würde ich mich gern auf meinen Abend vorbereiten. Ich
bin eingeladen.«
Freund ließ sich ungern hinauswerfen. Doch Bashtrins Haus verließ er
freudig. Die Kälte hier ging nicht nur von der Klimaanlage aus.
Auf dem Weg hinaus erspähte er den Kopf der alten Frau mit ihrem
schwarzen Kopftuch, der hinter einem Türstock hervorlugte. Die Augen in der
Faltenlandschaft folgten ihnen mit traurigem Blick.
Freund war froh, als er wieder auf dem heißen Gehsteig stand. Im
Auto wartete sein Vater mit den Kopfhörern über den Ohren und wiegte sich leise
im Takt.
Da war er wieder
Von außen sah das Gebäude aus wie ein ganz normales Wiener Altbauzinshaus.
Nach ihrem letzten, längst vergangenen Anstrich war die Fassade dunkelgelb
gewesen. Mittlerweile hatte die Stadtluft sie mit einem dunkelgrauen Schleier
überzogen. An einigen Ecken bröckelte der Putz. In vielen Fenstern auf allen
Stockwerken hingen Scherenschnitte, Basteleien oder kindliche Glasmalereien.
Nach ihrem erfolglosen Besuch des Staatsarchivs wandte sich Lia
Petzold Schmögers letzter konkreterer Erinnerung im Fall Tomlins zu: dem Leiter
eines Kinderheims namens »Mariahilf« oder so ähnlich.
Über dem Eingang stand in großen altmodischen Lettern »Kinderheim
Mariabitt«. Petzold klingelte und wurde ohne Fragen eingelassen. Als sie das
Tor öffnete, lag vor ihr ein kurzer dunkler Durchgang mit ramponiertem Stuck an
den Decken. Dahinter breitete sich ein riesiger grüner Garten aus, der den
ganzen Häuserblock ausfüllen musste.
Jedes Mal aufs Neue staunte Petzold, wenn sie eine dieser Oasen
entdeckte. Wer in die Wiener Innergürtelbezirke geriet, musste annehmen, dass
dort abgesehen von den wenigen und kleinen Parks kaum Grün gedieh. Vorgärten
kannte sie aus genau einer kurzen Gasse, Alleen waren eine Seltenheit.
Höchstens ein paar verlorene Bäume standen hier oder da. Spätestens seit Google
Earth wusste man es besser. Oder man spazierte als Wienerin einfach durch ihre
Stadt, wie Petzold das gern und oft tat. Wenn man in die Häuser gelangte oder
die Stadt aus der Luft sah, entdeckte man oft sehr großzügige Grünanlagen, die
von den Häusern eingeschlossen wurden und der Öffentlichkeit weder zugänglich
noch ersichtlich waren. Allerdings waren seit Petzolds Kindheit viele mit
modernen Wohnbauten angefüllt worden.
Im Garten des Kinderheims Mariabitt hatte keiner der alten Bäume
einem
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