Menschliche Einzelteile (German Edition)
ruhig. Bei Sören
hatte die Zuversicht Einkehr gehalten. Offenbar hatten sich die
Gangster tüchtig verrechnet. Nun stand die Polizei vor der Tür
und hier im Haus warteten auch noch einige Überraschungen. Mit
etwas Glück würde sich die ganze Sache bald aufklären
und er konnte wieder nach Hause gehen. Vielleicht sollte er sich
dabei wie ein echter Held benehmen und die Kleine auf seinen Armen
nach draußen tragen – wer immer sie auch sein mochte.
Sören
musterte sie und versuchte dabei, ihr Körpergewicht
einzuschätzen. Viel war nicht an ihr dran, aber er war auch
nicht gerade eine Sportskanone. Genau genommen hatte er noch nie in
seinem Leben Sport betrieben. Mutter Freya hatte sich immer dagegen
gewehrt – am Ende hätte sich Sören noch verletzt! Um
einer Zerrung vorzubeugen, hatte er auch nie mehr als fünf
Kilogramm heben dürfen.
Würde
er es nun schaffen, die Kleine nach draußen zu schleppen? Es
wäre zu peinlich, wenn er genau auf der Türschwelle unter
dem Gewicht des Mädchens zusammenklappen würde. Am Ende
würde das auch noch die Presse mitbekommen. Sören sah
bereits die Schlagzeile vor seinem geistigen Auge: „Unter
Mädchenkörper erstickt!“ Und darunter, etwas kleiner
gedruckt: „Entführung überlebt, aber Blödmann
klappt doch noch zusammen!“ Sören kniff sein geistiges
Auge zum zweiten Mal an diesem Abend zu.
Dann
fiel sein Blick auf die Frau, die er bislang für Frau Doktor
von Brechtow gehalten hatte. Wer mochte die wohl sein? Vielleicht
war sie gar nicht mit diesem Burschen verheiratet, nach dem Remo und
der Typ aus Frankfurt gerade schauten.
Aber
halt, auch hier konnte Sören nicht landen. Detlev hatte bereits
seine Finger im Spiel – oder besser: an Frau Doktor. Sie
schien gar nicht abgeneigt, von diesem Detlev angefummelt zu werden.
Zumindest zuckte sie nicht zurück. Im Gegenteil, sie beugte
sich vor und flüsterte Detlev etwas ins Ohr. Der lachte kurz
auf. Dann nahm er Frau Doktor bei der Hand, half ihr beim Aufstehen
und ging mit ihr in Richtung Treppenvorraum.
„ Wir
sind mal kurz weg“, meinte Detlev lässig in die Runde.
Der
Schinken winkte nur ab und Ewald hielt es nicht einmal für
nötig, zu den beiden aufzublicken.
Sören
hingegen folgte ihnen mit seinen Blicken. Von seiner Position auf
dem Sofa aus konnte er durch die Wohnzimmertür und den
Treppenvorraum bis in die Küche blicken – und genau
dorthin verkrümelten sich die beiden.
Was
machten die da? Sören reckte seinen Hals, konnte aber nichts
erkennen. Also riskierte er es, ein Stück näher zu der
Kleinen hin zu rutschen – selbst auf die Gefahr hin, wieder
eine Salve aus Gekreische und Gequietsche auszulösen. Aber er
musste einfach sehen, was die da in der Küche machten!
Aha.
Die Frau saß auf der Anrichte und Detlev stand vor ihr. Soweit
Sören es erkannte, redete Detlev auf die Dame ein. Wenn er die
Ohren spitzte …
„ Ja
klar habe ich das im Griff. Muss ja auch einer ein bisschen
aufpassen, dass die alle keinen Mist bauen.“
Die
Frau sagte etwas, doch so sehr Sören auch den Hals reckte, er
konnte sie nicht verstehen. Detlev lachte auf.
„ Nee,
ich lasse mich da nicht verrückt machen. Ich weiß doch,
dass die Bullen lügen wie bedruckt. Machen die doch immer. Das
ist wie in 'Hundstage' mit Al Pacino. Die erzählen dir alles
Mögliche, und wenn du denen das glaubst, dann macht es 'Peng'
und du hast ein Loch in der Rübe. Aber nicht mit mir. Nee nee,
ich bin viel zu bebildert, um denen diesen ganzen Quatsch zu
glauben.“
Die
Frau sagte noch etwas – und wieder bekam Sören es nicht
mit.
„ Na
ja, schon“, antwortete Detlev. „Das habe ich neulich
auch gemacht. Da war ich bei einer Bekannten. Die hatte Geburtstag
und hatte ein paar Gäste eingeladen. Aber mittendrin kam die
auf einmal an und hat mich auf die Terrasse gezogen. Und da ging es
dann so richtig los. Klar, natürlich haben die das da drin alle
gemerkt. Jeder hat das gemerkt. Meine Bekannte hat nämlich
gejodelt, als wie wenn die bei der Volksmusik auftreten wollte. Da
hat die ganze Nachbarschaft an den Fenstern gestanden. Alle haben
zugeschaut, wie ich es der Schlampe besorgt habe. Ich sag dir, das
war echt ein geiles Abenteuer!“
Was
schwafelte der da? Wollte dieser hässliche Vogel allen Ernstes
behaupten, er sei von einer tollen Frau vernascht worden – auf
dem Balkon? Vor den Augen einer Geburtstagsgesellschaft? Wer sollte
das denn glauben? Keine Frau würde sich in solcher Weise vor
ihren Bekannten und Nachbarn
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