Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
analysieren, was mit dir geschehen sein könnte.«
»Genau das, Sören, ist das Problem, dieser Einstich, es gibt nicht viele vernünftige Erklärungen, die sich hier anbieten, oder?« Lea wollte einen plausiblen Zusammenhang, der ihr das Fehlen einer geistigen Störung attestierte, nicht so ohne weiteres aufgeben. Sie wandte sich an Ullrich: »Kennst du nicht jemanden im Medizinbetrieb, der sich mit Hypnose auskennt? Ich habe zwar vor einigen Jahren mal einen Kurs über Hypnotherapie besucht, da ging es aber überwiegend um Entspannungstherapie bei psychosomatisch erkrankten Patienten.«
»Warte.« Ullrich kratzte sich am Hinterkopf. »Ich kenne eine Kollegin, mit der ich in der Heidelberger Universität ein Jahr auf der gleichen psychiatrischen Station zusammengearbeitet habe. Sie ist meines Wissens an der Uni geblieben und hat sich unter anderem mit Hypnose beschäftigt.«
»Wie? Moment mal«, Sören ergriff das Wort, »Ullrich, du glaubst doch nicht auch an diese wilde Hypothese, oder?«
»Und warum nicht, Sören? Glaubst du allen Ernstes an eine Amnesie für den ganzen gestrigen Abend wegen dieser Beule, die Lea am Kopf hat?«
Sören stützte ratlos den Kopf auf beide Hände. »Stimmt schon, irgendetwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Trotzdem ist eine retrograde Amnesie nach einem Sturz und dem Schock, alleine im Wald aufzuwachen, als posttraumatisches Syndrom schon denkbar, oder?«
»Gut, da ist aber noch eine Ungereimtheit«, gab Ullrich zu bedenken. »Wie ihr mir erzählt habt, hat Elisabeth über eine Stunde vor diesem ISG gewartet, während Lea angeblich nur eine Infobroschüre ausgehändigt bekommen und das Institut in Richtung Fortbildungszentrum verlassen haben soll.«
»Ja und?«
»Das hätte meiner Einschätzung nach doch nie und nimmer eine ganze Stunde gedauert. Diese ganze Geschichte ist meiner Meinung nach höchst suspekt.«
Keinem fiel zu Ullrichs Erläuterungen etwas ein.
Ullrich stand auf. »Wenn ich mal schnell euer Internet benutzen kann, finde ich den Nachnamen dieser Heidelberger Kollegin heraus. Der Vorname war Konstanze, und sie war eine von Sowieso.«
Fünfzehntes Kapitel
Susanna legte den Brief zurück in die Schublade und schob sie zu.
Erinnerungen ließen sich leider nicht wegschließen.
Die Anklage gegen ihren Bruder war der Beginn eines Weges gewesen, der sie immer weiter weggeführt hatte, zuerst von ihrem Elternhaus, dann von den alten Freunden und schließlich von sich selbst.
Sie war zu Ellen in eine Wohngemeinschaft gezogen und hatte sich dabei erwachsen gefühlt. Aber sie war in keinerlei Hinsicht vorbereitet gewesen auf dieses neue Leben, die neuen Spielregeln. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie sich die Sichtweise ihrer Umgebung zu eigen gemacht hatte und der innere Protest verstummt war. Wertvorstellungen hatten sich in Rudimente ihrer bürgerlichen Herkunft verwandelt, und sie hatte versucht, diese zu verbergen. Das galt für Vorstellungen von Freundschaft, Liebe und Treue gleichermaßen wie für die alltäglichen Dinge des Lebens.
»Na, spielst du Hausmütterchen?«, war der Kommentar, wenn sie sich durch verschmutztes Küchengeschirr arbeitete oder die Toilette mit WC-Reiniger schrubbte.
Ellen hatte sie damals immer seltener zu Gesicht bekommen. Wie sie sich eigen t lich finanzierte, blieb unklar, und auch die anderen Mi t bewohner lebten überwiegend von der Hand in den Mund.
Susanna selbst hatte einen Aushilfsjob in einer Galerie angenommen – die einzige Verbindung zu ihrer Vergangenheit. Trotz der vielen Menschen um sie herum, den Partys, Diskussionszirkeln, ritualisierten Abläufen in der WG – wobei häufig genug das eine in das andere überging –, hatte sie sich einsam gefühlt. Sie fühlte sich wie ein Baum, der spürt, dass seine Wurzeln verkümmern, dass sie ihn nicht mehr ernährten.
Wenn sie morgens in der Wohnung mit dem Geruch von kaltem Rauch aufwachte und in der Küche nach einer sauberen Teetasse suchte, fühlte sie sich wie eine Schiffbrüchige, die an einer unwir t lichen Küste gestrandet war.
Dann hatte es noch Joschi gegeben, Ellens Exliebhaber. Joschi, ohne Nachnamen. Ob er sich an seinen ursprünglichen Namen nicht erinnerte oder ihn abgelegt hatte, blieb unklar. Er war Gitarrist einer drittklassigen Band, die den Durchbruch immerzu im jeweils nächsten Jahr erwartete. Die Joints, der Alkohol und die durchfeierten Nächte hatten das Warten darauf wohl erträglicher gemacht.
»Joschi kennt sich aus, mit dem
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