Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Leben und mit Frauen.« Ellen hatte ihn angepriesen wie einen Gaul auf dem Viehmarkt, es hätte noch gefehlt, dass sie ihm die Lippen auseinandergezogen hätte, um seine Zahnreihen zur Begutachtung zu en t blößen.
Dieser Joschi, mehr großspurig als großzügig, vermittelte Susanna das Gefühl, sie müsse dankbar sein für seine Aufmerksamkeit.
»Das ist mal eine neue Erfahrung für dich, stell dich nicht so an«, hatte Ellen sie bedrängt. Die Abneigung, die sie empfand, hatte sie schließlich betäubt. Sie hatte sich dazu gezwungen. Die innere Zensur, die ihre Empfindungen damals beurteilte, brachte »Abscheu« in Verbindung mit »elitärem Denken«. Und das war verboten. Brav befolgte sie die neuen Regeln, wie sie die alten befolgt hatte. Das eigen t liche Merkmal ihrer Bürgerlichkeit, dieser Gehorsam gegenüber Regeln, blieb unerkannt und unangetastet.
So war die Zeit vergangen. Nach einigen Monaten war ihre Energie, die sie ohnehin nicht im Übermaß zur Verfügung hatte, aufgebraucht gewesen. Sie wurde krank, magerte ab, verlor ihre Phantasie und ihre Ausstrahlung. Ihre Geige blieb in der Ecke stehen.
Ellen hatte diese Veränderung mit einer Mischung aus Hohn und Schadenfreude beobachtet. Eine Reaktion, die Susanna weder erwartet hatte noch sich erklären konnte.
Was sie letztendlich bewogen hatte, wie ein Schaf zur Schlach t bank diesen zerstörerischen Weg zu gehen, war ihr nie klargeworden. Sie hätte sich wehren müssen, hätte weglaufen sollen, vor allem hätte sie irgendetwas tun müssen, um sich der tiefen Wandlung ihrer Persönlichkeit entgegenzustellen.
Nachdem sie von der Lüge Ellens erfahren hatte und erkennen musste, dass sie auf die Frage nach dem Warum oder dem Motiv keine Antwort erhalten würde, war es ein anderer Gedanke gewesen, der sie seitdem unaufhörlich beschäftigte: Wie groß war der Anteil ihrer Schuld? Musste sie dafür büßen, dass sie einer Lüge Glauben geschenkt hatte? Schließlich hatte sie Ellen in ihr eigenes Leben und in das Leben ihrer Familie gelassen.
Eines Tages waren ihr Vater und ihr Bruder in die Wohngemeinschaft gekommen. Sie selbst hatte keine klare Erinnerung an diesen Abend, an dem sie später in ihrem Elternhaus erst wieder zu sich gekommen war. An ihre Mutter konnte sie sich erinnern, wie diese an ihrem Bett gesessen und ihre Hand gestreichelt hatte, an ihre geröteten Augenränder und ihre eigenartig zerzauste Frisur. Überraschenderweise hatte dies ihre Mutter jünger und weicher wirken lassen.
Am nächsten Morgen hatte sie die Kleider, von denen nicht alle ihr gehörten, angezogen und war aus dem Haus geschlichen. Die Scham. Heute wusste sie, dass ihre Eltern ihr nie einen Vorwurf gemacht hätten. Sie selbst hatte sich nicht ertragen können.
An diesem Tag hatte ihre Mutter den ersten Herzanfall gehabt. Alexander hatte es ihr, Jahre später, erzählt.
Konstanze von Helmstetten, so hieß Ullrichs ehemalige Kollegin. Im Internet fanden sie zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen unter ihrem Namen, die auch international Aufmerksamkeit erregt hatten. Aktuell beschäftigte sie sich mit strukturellen Veränderungen im Gehirn, die durch Hypnose verursacht wurden; ihr Nachweis erfolgte durch ein so genanntes PET, Positronen-Emmissions-Tomogramm. Erste Untersuchungen zeigten, dass der Trancezustand während einer Hypnose die gleichen Gehirnaktivitäten aufweist wie ein Traum.
»Das ist unser Mann, besser gesagt, unsere Frau«, sagte Ullrich mit Blick auf die Internetseite. »Ich glaube, es kennt sich in Deutschland niemand so gut im Bereich der Hypnoseforschung und Hypnosetherapie aus wie Konstanze.«
Lea wurde es jetzt doch mulmig: »Und wenn wir uns damit lächerlich machen? Vielleicht kann ich mich ja nur wegen der ganzen Aufregung nicht erinnern, oder … ich weiß auch nicht …«
Aber Ullrich ließ sich nicht beirren. »Komm schon, Lea, sonst gibt es auch nicht viele Dinge, die dir peinlich sind. Außerdem kann ich bei Konstanze zuerst einmal nachfragen, ob ein Zusammenhang zwischen dem, was du erlebt hast, und einer wie auch immer gearteten Anwendung von Hypnose überhaupt in Frage kommt. Die Details können wir anschließend immer noch besprechen.«
»Vielleicht könntet ihr euch aber wirklich wenigstens heute in eurem Vorwärtsdrang etwas zügeln! Wer weiß, ob an dieser Hypnosegeschichte überhaupt irgendetwas dran ist.« Sören schaltete sich abermals ein. »Außerdem ist Sonntagnachmittag. Meint ihr wirklich, dass in der
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