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Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)

Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Heeger
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informiert. Ich habe jedoch in der letzten Zeit in ganz anderer Art und Weise einen Blick für die Geschehnisse bekommen, die mich tief berührt und, wie Du weißt, auch in große Verzweiflung gestürzt haben. Die Hoffnung, die ich zwischenzeitlich geschöpft hatte, war nicht immer verlässlich. Es gibt Stunden, da hoffe ich auf Gnade und denke, sie wird mir gewährt, und dann stürzt mich die Schwere meiner Schuld wieder in ein tiefes Loch.
    Früher waren es, wie du weißt, die gedankenlosen Taten, dieses »in den Tag hinein« gelebte Leben, die mich quälten, heute ist es mehr die Schuld, die sich nicht wiedergutmachen lässt.
    Unsere Mutter hat mich sehr geliebt. Dieses Wissen hat mich regelrecht überfallen, und seit diesem Zeitpunkt sehe ich die Beschaffenheit meines Lebens wie jemand, der aus einem Wald heraustritt und auf einen Hügel steigt. Ich sehe die Form des Waldes, wo ich vorher nur die Bäume sah, mit ihren Stämmen, ihren Ästen, Zweigen und Blättern, die Einzelteile eben. Ich stand im Dickicht, im Gestrüpp und habe keine Orientierung gehabt.
    Nun stehe ich oben und sehe den Fluss, der den Wald durchtrennt und dennoch seine Lebensader ist. Ich sehe Zäune, die um junge Bäume gezogen sind, nicht um sie gefangen zu halten, sondern um sie zu schützen, damit sie nicht zu Schaden kommen.
    In meinem Wald habe ich gestanden und den Einflüsterungen von Geistern Glauben geschenkt.
    Wofür sie gerade mich gebraucht haben?
    »Deine Mutter sperrt dich ein, sie will, dass du ihr Leben führst, ein Leben im goldenen Käfig.« So flüsterten sie immerzu. Und ich, was tat ich? Ich begann, ihr zu misstrauen. Mutter hat von mir nie gehört, dass ich mich geirrt habe, sie hat mit dieser absonderlichen Zurückweisung ihrer Liebe sterben müssen. Einen Teil meines Weges kennst du, aber du weißt nicht, wo er mich hinführte.
    Zuerst hatte ich eine Begegnung mit dem Teufel. Das schreckt dich vielleicht als Mann der Kirche, aber es ist eine Frage der Sichtweise. Ich liebte diesen mittelalterlichen Teufel des Marseiller Tarot auf eine eigenartige Weise. Er lacht über die Welt und die Menschen, die er an der Leine hat, über diese Kreaturen, die nichts wissen von ihren Gefängnissen und den falschen Wahrheiten. So fühlte ich mich über Jahre. Ich stand über der Welt und den menschlichen Gefühlen, aber auch über meinen eigenen. Das schlechte Gewissen als Mahner kam langsam, erst nach und nach.
    Als ich 2002 eine Ausstellung zu betreuen hatte, zog mich das Triptychon des Weltgerichts von Hieronymus Bosch unwiderstehlich an. Ich saß stundenlang davor. Die dargestellte Pein der Sünder wirkte auf mich furchterregend und faszinierend zugleich. Ich saß davor und bekam eine Ahnung von einem Neubeginn.
    Ich weiß, lieber Johannes, dass du diese Worte nicht magst. Du hast dich für Gott entschieden, und ich bewundere dich für deine Klarheit. Ich beneide dich auch um deine Sicherheit im Umgang mit Schuld und Vergebung. Ich habe eine Rangliste aufgestellt, was die Schwere meiner Verfehlungen angeht. Die Gedankenlosigkeit, mit der ich über das Leben entschieden habe, entsetzt mich immer noch.
    An den Gefühlen unserer Mutter habe ich gezweifelt. Ich, die ich nicht in der Lage war, genug Liebe für ein Ungeborenes aufzubringen. Ist das nicht armselig?
    Verstehst du, Johannes, ich kann mich nicht freisprechen und mir glaubhaft versichern, ich sei die Verführte oder das Opfer gewesen. In dem Moment, in dem die Krankenschwester die Infusionsflasche mit dem Wehenmittel an die Nadel in meiner Vene anschloss, hätte ich handeln müssen.
    Nun sitze ich in meiner stillen Wohnung oder in Ausstellungssälen inmitten von Bildern und fühle mich einsam, hätte gerne dieses Kind um mich oder besser eine Familie. Die bittere Einsamkeit zersetzt mich langsam, ein Prozess der Auflösung, die Autolyse von Bestandteilen meiner Person, und das Erstaunlichste ist: als Erstes ist mir die Trauer abhanden gekommen. Kannst du dir das vorstellen, Johannes? Ich jammere, dass ich nicht mehr trauern kann, weil mir die Aussicht auf Vergebung fehlt.
    Ich glaube, so sind wir Menschen. Selbst bei schwerster Schuld hoffen wir, dass jemand uns sagt: »Nun ist alles wieder gut, dir wurde vergeben.«
    Aber wer sollte mir vergeben, Johannes? Gott? Ein Priester? Das einzige Wesen, das mir vergeben könnte, wurde nie geboren.
    Wie egoistisch, nicht wahr?
    Die Menschen in der Nähe des Teufels sind egoistisch, und ihr Größenwahn bindet sie – Herren über

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