Mercy, Band 2: Erweckt
in einem öffentlichen Lokal.
Franklin sagt nichts, blickt mich auch immer noch nicht an, als er seinen Stuhl zurückschiebt und aufsteht. Er schiebt die rechte Hand in seine Jacke und tastet darin herum, und ich spüre, wie alle im Raum erstarren. Einen langen Augenblick hält er den Pistolengriff fest, als kämpfte er mit sich. Aber schließlich lässt er los und rückt mit zitternden Fingern sein Jackett zurecht.
Es war nichts weiter als ein kurzes Auftrumpfen, eine Selbstbehauptungsgeste, das wird mir jetzt klar. Er wollte sich vermutlich einfach beweisen, dass er noch eine Wahl hat.
Mit einem Blick über die Schulter öffnet er die Tür und quetscht sich durch den Plastikvorhang hinaus.
„Ich dachte schon, diesmal erschießt er sich selber“, verkündet Ranald. Ich stoße die Luft aus, die ich die ganze Zeit angehalten habe, ohne es zu merken.
M r Dimowsk i – der nicht gehört hat, was ich zu Franklin gesagt hab e – hält hinter der Theke anerkennend den Daumen hoch, aber sein Gesicht ist kreidebleich und er sieht ziemlich mitgenommen aus, genauso wie Lela wahrscheinlich. Oder Cecilia, die mit betroffener Miene dicht bei Sulaiman an der Küchentür steht. Nur Sulaiman wirkt gelassen wie üblich, ein Fels in der Brandung.
Ich beneide ihn fast um seinen Glauben, der so stark ist, dass er nicht mal bei einer Szene wie dieser hier ins Schwitzen kommt.
Ich ticke anders. Man muss dem Schicksal in die Speichen greifen, das ist meine Meinung. Sonst wird man zu einem willenlosen Zuschauer in seinem eigenen Leben.
„Deine dummen Kommentare aus dem Hintergrund waren auch nicht gerade hilfreich“, fauche ich Ranald im Vorübergehen an.
Alle fahren zusammen, als er plötzlich wutentbrannt losbrüllt: „Was heißt hier dumm? Du hast es nötig mit deinem idiotischen Bedienungsjob in diesem versifften Dreckloch von einem Café!“
Er rammt den Laptop mit dem ganzen Elektronik-Krempel in seine Computertasche und stürmt aus dem Café.
„Mimose“, murmle ich vor mich hin.
„Er ist ohne seinen zweiten Kaffee gegangen“, sagt Cecilia erstaunt.
M r Dimowski schüttelt resigniert den Kopf. „Was hab ich Ihnen gesagt, Lela?“
Sulaiman wirft mir einen seiner unergründlichen Blicke zu und geht in die Küche zurück.
Wie auf ein Stichwort setzt der große Mittagsansturm ein und ebbt erst nach halb zwei wieder ab.
„Kann ich jetzt gehen?“, frage ich M r Dimowski zehn Minuten später.
Cecilia legt ein gutes Wort für mich ein. „Ja, sie soll gehen“, drängt sie M r Dimowski. „Sulaiman, er sagt, er räumt heute auf für Lela. Die Mutter braucht sie.“
„Na los, lo s – gehen Sie schon!“, ruft M r Dimowski mit gespielter Gereiztheit und scheucht mich mit seinen großen, fleischigen Händen weg.
Ich werfe Lelas Rucksack über die Schulter und will gerade in die Nachmittagshitze hinaustreten, als M r Dimowski mir eine Plastiktüte mit einem großen, ovalen Behälter, gefüllt mit Reis und Beilagen, in die Hand drückt.
„Für Sie und Ihre Mutter“, sagt er und dreht sich verlegen weg. „Essen Sie anständig, und dann kommen Sie morgen wieder und tun endlich, wofür ich Sie bezahle, ja?“
In der Tür drehe ich mich um und winke den anderen zu, die alle drei zurückwinken, jeder von seinem Platz aus, jeder auf seine Weise so freundlich, dass es mir die Kehle zuschnürt. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, Kellnerin in einem versifften Dreckloch von Café irgendwo in einem unscheinbaren Kaff am Ende der Welt zu sein, denke ich einen Augenblick lang.
Bis mir wieder einfällt, dass Ryan mich in zwei Tagen abholt. Noch zwei Tage!
Und ich weiß, sobald wir wieder zusammen sind, Ryan und ich, wird mir das hier wie ein ferner Traum erscheinen. Dann will ich nur noch dort sein, wo er ist. Bei Ryan, der einen großen Schritt auf meine Freiheit zu bedeutet.
Kapitel 14
Als ich um die Ecke unter dem Torbogen durchkomme, wo die Luft so heiß ist, dass sie in Wellen vom Pflaster aufsteigt, beschleunige ich meine Schritte. Der schlichte schwarze Leinenrock und die schwarze Leinenbluse, die ich heute Morgen angezogen habe, kleben an Lelas Haut.
Ich rede mir ein, dass ich alles im Griff habe, dass alles gut ist, dass ich ja nur meine Nachrichten abrufe und mich an den Plan halte. Aber im tiefsten Inneren bete ich, dass Ryan da ist, und sei es auch nur in dieser körperlosen, virtuellen Form, für die sich mein altmodischer Kopf noch immer nicht erwärmen kann. Dass wir uns im selben Raum, in
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