Mercy, Band 2: Erweckt
„Was bedeutet das eigentlich?“
Cecilia wirft mir einen bedrückten Blick zu. „Ein Unglück kommt selten allein oder so ähnlich. Er sagt es immer, wenn er sich Sorgen macht. Ich habe Angst, Lela.“
„Solltest du auch“, mischt Ranald sich ein. Er hat einen seltsamen Ausdruck im Gesicht, irgendwie erregt.
Mit einem irren Licht in den Augen wiederholt er: „Solltest du auch.“
Kapitel 16
Ranald ist längst verschwunden und der Mittagsansturm vorbei, als Justine endlich zu weinen aufhört.
Franklin Murray war eine Zeit lang hier, hatte auf einem Barhocker vor der Glasfront gesessen, sein Sandwich und seinen Kaffee ergattert und jedes einzelne Wort in der Zeitung gelesen, als ginge es um sein Leben. Als ich mich zu ihm vorbeugte, um seinen Teller und seine verkrumpelte Serviette mitzunehmen, spürte ich die Pistole in der Innentasche seines Jacketts an meinem Arm. Er warf mir einen erschrockenen Blick zu, aber ich tat so, als merkte ich nichts, und segelte mit seinem Teller davon.
Justine lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Sie hat alle Gaffer niedergestarrt, die ins Green Lantern kamen. „Na los, glotzt nur“, zischte sie den schlimmsten unter ihnen zu, „tut euch keinen Zwang an!“
Jetzt säubern Cecilia und ich Justines Gesicht, so gut es geht mit dem, was wir hier im Café zur Hand haben. Aber an dem neuen blauen Fleck können wir nichts ändern. Er wird eher größer mit der Zeit. Seife und Wasser reichen nicht aus, um die ganze Schminke herunterzubekommen, und Reggie weigert sich, uns den Make-up-Entferner zu leihen, den sie in der Handtasche hat.
„Nicht mein Problem“, sagt sie und verzieht den Mund, sodass er aussieht wie ein Katzenpopo, während sie mit übertriebenem Kraftaufwand im süßsauren Schweinefleisch rührt. „Brauchst mich gar nicht so anzusehen.“
„Als ob du ’ne Heilige wärst“, murrt Justine.
„Jedenfalls hol ich nicht meine Titten vor fremden Kerlen raus, bloß um Geld zu verdienen!“, faucht Reggie zurück.
„Scheinheilige Schlampe.“
M r Dimowski schüttelt müde den Kopf über die beiden Frauen, die sich lauthals quer durch den Raum beschimpfen. Das ist schlecht fürs Geschäft.
„Bringen Sie Justine ins Büro“, sagt er zu mir. „Und dann kaufen Sie ihr ein Paar Schuhe und was zum Anziehen. So kann sie nicht rumlaufen, das ist zu gefährlic h – angezogen wie ein e … ein e …“ Er gestikuliert mit einer Hand in ihre Richtung und blickt dabei ritterlich an ihr vorbei auf einen imaginären Punkt über ihrem Kopf.
Er gibt mir einen Fünfziger aus der Kasse, damit ich einkaufen kann, und ich gehe um die nächste Ecke, wo ich im erstbesten Ramschladen in Chinatown ein Paar schwarze Männer-Kung-Fu-Schuhe in einer kleinen Größe und einen chinesischen Schlafanzug kaufe. An der Kasse bekomme ich sogar noch Geld zurück. Ist nicht gerade der letzte Schrei, aber Justine hat ja noch die Bomberjacke von dem Dreckskerl, und zusammen mit dem anderen Zeug wird sie klarkommen, bis sie zu Hause ist und sich umziehen kann.
Sie geniert sich, als sie in M r Dimowskis Büro in den zitronengelben Kunstseidenschlafanzug schlüpfen soll. „Schau mich nicht an“, murmelt sie und zieht sich hastig um, während ich auf ihre Bitte hin an der Tür Schmiere stehe. „Ich hab ’nen Ausschlag an den Schultern, von dem ganzen Latex, das ich in letzter Zeit tragen musste. Es ist widerlich, echt.“
Zum Schluss streift sie die weichen, flachen Schuhe über ihre großen weißen Füße. Die Schlappen sind nur wenig zu groß. Die Bomberjacke muss ich Sulaiman geben, damit er sie sofort draußen in die Mülltonne wirft.
„Die riecht nach ihm“, sagt sie schaudernd. „Die will ich nicht.“
M r Dimowski verdreht die Augen und wirft mir einen leidgeprüften Blick zu, als Justine und ich aus seinem Büro kommen. „Ja, natürlich können Sie früher gehen, Lela, ich habe schon damit gerechnet. Und passen Sie auf sich auf, Justine. Gehen Sie nicht in diesen Club zurück, Sie können stattdessen hier arbeiten, okay?“
„Ich werd’s mir überlegen“, sagt Justine, die plötzlich ganz schüchtern ist.
Sie winkt Sulaiman dankbar zu, und er nickt, ohne eine Miene zu verziehen, und wendet sich wieder der Pizza zu, die er für morgen vorbereitet.
„Ich glaube, ich bin in den Typ verliebt“, sagt Justine mit einem verzweifelten Lachen, als wir uns durch den Plastikvorhang quetschen. „Irgendwie gerate ich immer an die schwierigen Fäll e – Junkies oder Typen
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