Mercy, Band 2: Erweckt
Schlampe!“, schnauzt mich der Pitbull an. „Das ist eine Sache zwischen Juz und mir. Man wird ja wohl noch reden dürfen, oder gibt’s vielleicht ein Gesetz dagegen? Also halt dich gefälligst da raus.“
Er dreht sich um und zerrt Justine weg. Aber Justine sträubt sich und fleht mich an: „Hilf mir, Lela, bitte hilf mir doch!“
Im Traum hat Luc mir gesagt, dass ich wütend sein muss, um die Kräfte zu mobilisieren, die mir gegeben sind. Aber mein Zorn ist wie weggeblasen. In mir ist nichts als Traurigkeit. Justine, aufgedonnert wie bei einer Monster-Schau. Mr s Neill mit ihrem untreuen Mann und ihrer unheilbaren Krankheit. Franklin Murray, bankrott, selbstmordgefährdet, ein Häufchen Elend.
Ich drehe mich um und sehe Sulaiman hilflos an, in den Augen der ganze Schmerz, die ganze Ohnmacht, die mich lähmen. Ohne Wut im Bauch bin ich machtlos, könnte eher einen Hurrikan aufhalten, als diesen Mann stoppen, der Justine wegzerrt.
Sulaiman hält meinen Blick lange fest, dann scheint er einen Entschluss zu fassen, der gegen seine Vernunft ist, denn er presst die Lippen zusammen und geht auf den Pitbull los.
Bevor der Typ reagieren kann, packt Sulaiman ihn am Hemdkragen, reißt Justine aus seinem Griff und schubst sie in unsere Richtung. Dann stößt er den Glatzkopf vor die Brust, sodass er wild mit den Armen rudert und auf den heißen, stinkenden Gehweg knallt. Man hört richtig, wie die Luft aus seiner Lunge entweicht.
Tränenüberströmt und mit ausgestreckten Armen stolpert Justine auf ihren turmhohen Stilettos zu mir herüber. Sofort ziehe ich sie in unser kleines Menschenknäuel hinein. M r Dimowski stellt sich schützend vor sie, und Cecilia baut sich hinter Justines Rücken auf, sodass sie von allen Seiten abgeschottet ist und ihr gewalttätiger Ex sich erst mit uns anlegen müsste, um an sie heranzukommen.
„Ich bring dich um!“, heult der Typ und versucht sich unter dem großen, schweren Fuß herauszuwinden, den Sulaiman ihm auf den Rücken gestellt hat. „Und dann bring ich die um! Hätt ich schon längst machen sollen, die verfluchte Hure!“
Sulaiman beugt sich hinunter, wälzt den Mann grob herum und greift mit seinen Riesenfäusten in das karierte Hemd des Pitbulls, sodass sie einander direkt in die Augen sehen. Die Leute auf dem Gehweg machen einen großen Bogen um die beiden.
Ich höre Sulaiman knurren: „Sie will nicht mit dir gehen, also wird sie nicht mit dir gehen.“
Er dreht den Kopf zu unserem Grüppchen herum, das immer noch eng aneinandergedrängt unter dem Vordach des Green Lantern steht.
M r Dimowski wirft nur einen Blick auf sein Gesicht, dann scheucht er uns wie eine aufgeregte Glucke zur Eingangstür zurück. „Was haben wir nur gemacht?“, murmelt er vor sich hin. „ Likha beda nachalo! “
Ich spähe über M r Dimowskis Schulter, will wissen, was Sulaiman tut, aber der Boss signalisiert Cecilia und mir, den Plastikvorhang beiseitezuschieben und die Tür zu öffnen. Er führt Justine behutsam hinein, eine Hand unter ihrem Ellbogen, als sei sie ein verirrtes kleines Kind, dann bellt er Reggie Befehle zu. Reggie ist ausnahmsweise sprachlos, sie schnappt mit ihrem rot geschminkten Mund nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um einen Blick über die Theke, die vorne an der Glasfront entlang verläuft, nach draußen zu werfen. Sulaiman nimmt gerade eine Hand vom Gesicht des Pitbulls und lässt ihn endlich vom Boden aufstehen. Justines Ex kommt wacklig auf die Beine, dann wankt er die Straße hinauf, als wäre er tödlich verwundet, obwohl kein Blut und keine äußeren Verletzungen an ihm zu sehen sind.
Sulaiman schlendert zur Eingangstür des Cafés zurück und M r Dimowski brummt wieder: „ Likha beda nachalo! “ Dann sagt er auf Englisch zu uns: „Einer von euch passt auf sie auf, bis ich den Erste-Hilfe-Kasten geholt habe.“
Er verschwindet in dem engen Flur, der zu seinem Büro führt, und lässt Justine zusammengesunken auf einem Stuhl zurück. Sie hat das Gesicht in die Hände gestützt und ihre Schultern beben immer noch.
Sulaiman kommt durch die Tür und geht sofort an seinen gewohnten Platz in der engen, langen Küche zurück, als wäre nichts geschehen. Cecilia und ich spähen zusammen die Straße hinauf. Von Justines Angreifer ist nichts mehr zu sehen. Beklommen frage ich mich, was Sulaiman ihm angetan hat, dass er so jämmerlich fortgewankt ist.
„Warum sagt M r Dimowski das immer?“, frage ich Cecilia.
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