Mercy, Band 2: Erweckt
heut e … erhöhen?“
Ich lege meine Hand auf Mr s Neills Stirn und schüttle den Kopf. „Sie hat keine Schmerzen“, sage ich. Hoffentlich schlägt mein innerer Aufruhr nicht in Lelas Stimme durch. „Sie spürt nichts mehr.“
Zoe betrachtet prüfend Mr s Neills Gesicht und legt ihre Hand, die sie gehalten hat, behutsam auf die Decke zurück. „Ja, ich glaube, Sie haben Recht.“
Justine, jetzt in einem riesigen lilafarbenen T-Shirt, späht zur Tür herein. Das nasse Haar hängt ihr ins Gesicht, an den Füßen trägt sie noch immer die Comicfiguren-Puschen und sie mampft das Brot, das ich ihr gemacht habe.
Ich trete zurück, sehe Zoe und Justine eindringlich an. „Ihr lasst sie nicht allein, ja? Einer von euch bleibt da, bis ich wieder da bin, und ich komme, sobald ich nur kann. Ich will nicht, dass sie allein ist. Keine Sekunde lang.“
Die beiden nicken. Ich werfe einen letzten, zögernden Blick auf die stille Gestalt im Bett und gehe den Flur hinunter. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich Mr s Neill zum letzten Mal gesehen habe. Jedenfalls in diesem Leben.
Ich höre noch, wie Zoe den Deckel ihres Medikamentenkoffers aufklappt und Justine schüchtern fragt: „Soll ich Ihnen helfen, Sie aufzurichten?“ Dann schließe ich die Tür hinter mir mit einem Gefühl von Endgültigkeit. Ich weiß, dass alles mit einem Schlag anders werden wird.
Kapitel 17
Die Busfahrt in die Stadt dauert eine Ewigkeit. Ich sitze hinter dem Fahrer und sage Bright Meadows stumm Lebewohl, verabschiede mich von Green Hill, den ausladenden, duftenden Bäumen, den Stromleitungen und Autofriedhöfen, den als Restaurants getarnten Spielhöllen, den Apotheken, Bäckereien, Banken, Tankstellen und Supermärkten, als würde ich das alles nie mehr wiedersehen.
Endlich steige ich an der Haltestelle gegenüber vom Green Lantern aus, überquere wie auf Flügeln die vierspurige Straße mit dem mörderischen Verkehr.
Heute kommt er. Jetzt, in diesem Moment, ist er bereits in der Luft. In ein paar Stunden wird er da sein.
M r Dimowski lächelt mir zu, als ich mit einem strahlenden Lächeln durch den Plastikvorhang stürme.
„Da hat aber heute jemand gute Laune!“, ruft er.
Er verliert kein Wort darüber, dass es erst 6.5 0 Uhr ist und ich fast eine Stunde zu früh zur Arbeit komme.
Tempus fugit , heißt es doch. Die Zeit vergeht. Hoffentlich gilt das auch heute, denn bis jetzt habe ich noch nichts davon gemerkt.
Ich schnappe mir eine Schürze und binde sie um. Sulaiman taucht plötzlich neben mir auf, lautlos, wie es seine Art ist. Ich nehme ihm das riesige Blech mit Spiegeleiern und Speck ab, das er in seinen Pranken hält, und stelle es auf der Arbeitsfläche ab. Sulaiman geht nicht sofort in die Küche zurück. Stattdessen steht er da und sieht zu, wie ich die Krusten von den bestellten Toasts abschneide und die Scheiben mit Butter bestreiche.
Irgendwann geht mir diese stumme Überwachung auf die Nerven, und ich halte inne und drehe den Kopf, um ihm ins Gesicht zu sehen.
„Was ist?“, frage ich. Heute wird mich nichts und niemand herunterziehen, das schwöre ich mir. Egal wie bissig, herablassend und missbilligend er mir gegenüber sein wird. Ich werde das alles mit einem liebenswürdigen Lächeln abschmettern. „Hab ich was falsch gemacht?“
Eine kleine Falte bildet sich zwischen seinen buschigen dunklen Augenbrauen.
„Geh nach Hause zu deiner Mutter“, sagt er mit seiner tiefen Stimme und seine Worte klingen ungewohnt eindringlich und besorgt. „Und zwar jetzt gleich. Frag M r Dimowski, ob er dir den Tag freigibt. Er wird es verstehen. Du hast keine Zeit zu verlieren.“
Ich spüre, wie Lelas Augenbrauen überrascht in die Höhe schießen.
„Danke für deine Anteilnahme, Sulaiman“, erwidere ich schnell. Woher dieses plötzliche Interesse an Lelas Privatleben? „Aber ich hab alles geregelt. Mum ist nicht allein, falls du dir deshalb Sorgen machst. Ich will nur die Morgenschicht zu Ende bringen und gegen Mittag mach ich dann Schluss. Ich werde abgeholt.“ Ich kann mein Glück nicht länger bezähmen und strahle wie ein Honigkuchenpferd. „Mein Freund kommt und dann gehen wir zusammen weg.“
Zusammen. Allein der Gedanke, dass Ryan durch diese Tür kommt, nach mir Ausschau hält, macht mich so selig, dass ich am liebsten das Brotmesser weglegen und mich in meinen eigenen Armen wiegen möchte. Oder auf- und abhüpfen wie eine japanische Comicfigur.
Sulaiman scheint meine heimliche Freude zu
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