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Mercy, Band 2: Erweckt

Mercy, Band 2: Erweckt

Titel: Mercy, Band 2: Erweckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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spüren, mein hemmungsloses Glück, denn seine Stirnfalte vertieft sich, und in der glatten dunklen Haut um seine kräftige Nase und seinen breiten Mund bilden sich scharfe Furchen.
    „Muss ich noch deutlicher werden?“, faucht er mich an, das Gesicht zu einer zornigen Fratze verzerrt. „Geh jetzt heim. Sofort!“
    Er deutet mit seinem massigen Arm zur Vordertür, und etwas an seiner Geste weckt eine Erinnerung in mir, die nichts mit diesem schäbigen Café zu tun hat. Ein Bild von einem hochgewachsenen Mann mit flammend rotem Haar, smaragdgrünen Augen, schöner als die Sonne, der ein Flammenschwert in seiner alabasterweißen Hand hält. Eine Geste des Zorns. Der Verweigerung. Sekundenlang nehme ich eine Verschiebung zwischen Vergangenheit und Gegenwart wahr, so intensiv, als könnte ich mühelos von einem ins andere wechseln.
    Dann verschwindet die Vision von Zorn und Schönheit, und ich finde mich in Lelas Körper wieder und blicke in Sulaimans dunkle, zornige, sterbliche Augen auf.
    „Geh!“, zischt er. „Geh, bevor es zu spät ist, du dummes Huhn!“
    Cecilia, die hinter uns an der Kaffeemaschine steht, wirft einen erschrockenen Blick in unsere Richtung. Reggie tut so, als würde sie uns nicht belauschen, aber ich kann an ihrer schiefen Kopfhaltung sehen, dass sie jedes Wort aufsaugt, während sie Kaffeebecher und Essenstüten ausgibt.
    Wäre M r Dimowski hier, würde er die Situation irgendwie entschärfen, aber er ist hinten in der Küche beschäftigt und pfeift ein russisches Lied.
    Ich nehme das Messer wieder zur Hand und in mir bricht etwas Hartes, Scharfes, Unbarmherziges auf. Wie kommt dieser Sulaiman dazu, mich herumzukommandieren? Wenn er wüsste, mit wem er es hier zu tun hat, wäre er nicht so herrisch, so voreilig.
    Meine Worte kommen heftiger, verächtlicher heraus, als ich beabsichtigt hatte. „Ich weiß, was du von mir denken musst, von Justine, von Reggie, von allen Frauen hier mit unseren lockeren westlichen Sitten und unserer mangelnden Charakterstärke. Und natürlich bist du uns himmelweit überlegen mit deinen hohen moralischen Ansprüchen. Stimmt doch, Sulaiman? Aber ich lasse mich nicht von dir verurteilen. Mir ist egal, was andere über mich denken. Darüber bin ich hinaus.“ Ich streiche mit zitternden Fingern eine Locke aus Lelas Stirn und zwinge mich, ruhiger zu sprechen. „Und wie gesagt, nachher holt mich jemand ab und wir werden zusammen gehen.“
    Wir funkeln einander wütend an. Ich halte Sulaimans Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich denke nicht daran, einen Rückzieher zu machen. Einen Moment lang ist mir, als könnte ich hinter seine dunklen Augen sehen, und ich habe das verstörende Gefühl, dass wir uns früher schon begegnet sind.
    In einem vergangenen Leben vielleicht. Aber wenn schon. Ich habe Merkwürdigeres erleb t – und nicht nur einmal.
    „Du verstehst mich falsch“, murmelt er nach einer Weile, schaut weg, weicht zurück, und das vertraute Gefühl verfliegt. „Vergiss, was ich gesagt habe.“
    Wortlos, ohne einen weiteren Blick, dreht er sich um und trottet in die Küche zurück.
    Reggie schaut mich nachdenklich an, während sie gebratenes Dim Sum mit einer Zange herumrüttelt. „Der verhängt noch ’ne Fatwa gegen dich, wenn du nicht aufpasst“, sagt sie. „Was hast du gemacht, dass er sich so aufregt? So viel hat der noch nie gerede t – mit niemand.“
    Ich zucke die Schultern, denn inzwischen pfeife ich auf seine gute Meinung und auf ihre erst recht. Wie sagen die Leute hier immer? „Das interessiert mich ’nen Scheiß!“ Treffender lässt sich die Situation nicht zusammenfassen. Ich gehe heute. Warum soll ich noch gute Miene zum bösen Spiel machen?
    Plötzlich fliegt die Tür auf. Ranald kommt herein, blasser als sonst, und sein kurzes Haar steht wild von seinem Kopf ab. Er stolpert fast, so eilig hat er es hereinzukommen. Krampfhaft klammert er sich an seine Computertasche, als sei sie ein besonders schutzbedürftiger Fortsatz seines Körpers.
    Und mir wird flau im Magen. Ranald hatte ich völlig vergessen und erst recht diese idiotische Verabredung zum Abendessen, die er mir in einem unbedachten Moment abgeschwatzt hatte.
    M r Dimowski, der wieder an seinem üblichen Posten hinter der Kasse steht, schaut ihn an, wirft einen Blick auf seine Uhr, dann auf die Uhr über uns, die 7.1 2 Uhr anzeigt, und ich weiß, dass er das Gleiche denkt wie wir alle.
    Ranald ist drei Stunden zu früh dran für seinen ersten Kaffee, aber er ist

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