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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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umschlungen purzeln wir durch das regennasse Gras und schlittern über die gepflasterte Plaza weiter, bis wir gegen den Sockel eines Laternenmasts krachen.
    Ich liege benommen da und der Sturz wühlt Erinnerungen an eine andere Zeit in mir auf. Aber diesmal bin ich nicht zerschmettert, verkohlt und dem Tod nahe. Ich bin heil und quicklebendig.
    Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis ich die Kraft aufbringe, Ryan von mir herunter und auf den Rücken zu wälzen. Er liegt mit geschlossenen Augen da, reglos, aber seine Lebenskraft pulsiert unter meinen Fingern und dann fängt er an zu husten. Ein schmerzhafter, quälender Husten. Ich lege im strömenden Regen beruhigend meine Hand auf ihn und spüre seinen rasenden Herzschlag.
    Ich bleibe liegen, starre, ohne zu blinzeln, in den Regen, der vom Himmel fällt, ja, noch weiter hinauf, bis zu seinem Ursprung. Vielleicht wird es nie anders mit uns sein , denke ich halb erleichtert, halb verzweifelt. Immer haarscharf an der Katastrophe, am Tod vorbei.
    Uriel hat Recht, das weiß ich jetzt: Wenn Ryan durch mich zu einer derartigen Verzweiflungstat getrieben wird, muss ich gehen.
    Dann fällt Uriel neben uns vom Himmel und landet leicht auf den Füßen. Er ist wieder in seiner Menschengestalt, mit der strähnigen Collegeboy-Frisur, der Metallbrille und dem stylishen Outfit, das er schon in Tokio getragen hat.
    Ryan öffnet die Augen, blickt in Uriels Gesicht hinauf und fährt kerzengerade hoch, sodass er mit dem Kopf gegen den Laternenmast hinter sich knallt. Als er sieht, dass ich mit keiner Wimper zucke und keinerlei Angst zeige, beruhigt er sich und schaut mit ungläubigem Staunen zwischen Uriel und mir hin und her.
    „Wenn Luc und ich Zwillinge sein könnten, wie du sagst“, krächzt er mühsam, „was seid dann ihr beide – du und dieser Typ dort?“
    Dann stemmt er sich gegen den glänzenden Mast, zieht sich daran hoch und tastet seinen Körper mechanisch nach Brüchen oder Quetschungen ab. Der Regen tropft ihm in den Mund, durchnässt sein Haar, das bereits nachgewachsen ist, und rinnt an seinem Dreitagebart hinunter.
    Ich liege immer noch im strömenden Regen am Boden und Ryan funkelt mich an.
    „Was fragst du überhaupt?“, schreie ich ihn an. „Was interessiert’s dich, wer er ist? Und warum zählst du jetzt so sorgfältig deine Knochen, obwohl du gerade versucht hast, dich in den Tod zu stürzen? Mach das nicht noch mal, sonst bring ich dich eigenhändig um!“
    „Mercy“, ermahnt Uriel mich.
    Meine Wut verwandelt sich in Schmerz und schnürt mir die Kehle zu. Ich weiche vor beiden zurück und verschränke die Arme, um mich vor weiteren Verletzungen zu schützen.
    Uriel tritt zu Ryan. Die beiden mustern sich misstrauisch. Sie sind ungefähr gleich groß und gleich stark und ihre Körperhaltung zeigt, dass keiner von ihnen bereit ist, klein beizugeben.
    „Ich bin Uriel“, sagt Uriel schließlich und hält Ryan verlegen die Hand hin. Begrüßungen nach Menschenart ist er nicht gewohnt.
    „Du kennst ihn nicht“, bemerke ich spitz, „aber er ist der Herr des Hauses. Wo er auftaucht, muss alles nach seiner Pfeife tanzen. Jetzt zum Beispiel will er, dass wir von hier an getrennte Wege gehen.“
    „Der Herr des Hauses?“, wiederholt Ryan und starrt beinahe entsetzt auf Uriels Hände hinunter, als könnten sie sich jeden Moment in Giftschlangen verwandeln und ihn beißen. Er macht keine Anstalten, Uriel die Hand zu schütteln.
    „Unsere Zeit ist abgelaufen, Ryan“, sage ich leichthin, obwohl mich der Schmerz fast überwältigt. „Weil Uriel es so bestimmt. Und ja, ich habe dir nie erzählt, wie ähnlich wir uns sind und dass ich auf seltsame Weise ein Zwillingswesen bin, so wie du. Uriel streitet es ab, aber für mich ist unsere Ähnlichkeit ein Beweis, dass Gott existiert und sogar Humor hat.“
    Uriel funkelt mich an und lässt seine Hand sinken. „Sagt euch jetzt, was ihr euch zu sagen habt“, faucht er, „und dann geht mir aus den Augen, damit ich endlich meine wahre Aufgabe erfüllen kann.“
    Ryan verschränkt herausfordernd die Arme. „Und was ist mit unserer Entscheidungsfreiheit?“, knurrt er. „Oder gilt das nur für allmächtige Erzengel? Ich will nicht gehen und Mercy auch nicht. Schon gar nicht, solange hier die Hölle los ist. Mercy kann hier unten noch viel Gutes tun. Und sie kann dir sehr nützlich sein, auf eine Art, von der du keinen blassen Schimmer hast. Bei der Jagd nach Luc zum Beispiel.“
    Ehe ich etwas unternehmen kann,

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