Mercy, Band 4: Befreit
der Alte den Kopf zurück und zeigt seinen zahnlosen Mund.
Die junge Frau kommt wieder aus der Küche gehuscht, senkt schüchtern den Kopf, als sie an uns vorbeiläuft, und stürzt zur offenen Wohnungstür hinaus und die Treppe hinunter.
Kaum sind ihre Schritte verklungen, da schreit der ältere Mann in Quechua: „Willkommen! Willkommen, Geschwister der Großen Eule. Nehmt Platz und sagt uns, was ihr von uns wollt, dann werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um euch zu helfen.“
„Einen Augenblick“, sagt Uriel höflich zu dem Alten, dreht sich zu mir um und zischt mir zu: „Ich will diese herzensguten Menschen nicht kränken, aber wir haben keine Zeit zum Verweilen. Ich muss sofort zum Machu Picchu und Gabriel suchen. Wer weiß, was aus ihm geworden ist. Lass die Sterblichen Ryan gesund pflegen, bevor er nach Hause zurückkehrt, aber wir beide können nicht hier herumsitzen und Tee trinken. Wenn Ryan die Wahrheit sagt und du wirklich diese Dämonen niedergestreckt hast“, fährt er fort, und ich höre die Skepsis in seiner Stimme, „dann bist du mir eine willkommene Hilfe. Wir fliegen hin, holen Gabriel und verschwinden wieder. Dann gehst du und Gabriel und ich suchen die anderen.“
Ryan richtet sich langsam auf und hält sich den Kopf. Sein Gesicht ist kreidebleich. „Aber darauf warten sie doch nur“, keucht er mühsam.
„Sprich nicht in Rätseln“, donnert Uriel mit gefährlich lodernden Augen.
„Ich meine, die warten doch nur darauf, dass ihr zum Machu Picchu kommt, nach Peru … Shit, wir sind doch in Peru?“ Er hält Uriels Blick stand und fährt keuchend fort: „Aber wahrscheinlich gehen sie davon aus, dass du in voller Engelskluft angebraust kommst, samt Flammenschwert und dem ganzen Schnickschnack. Darin seid ihr Erzengel ja ganz groß. Ist aber ein bisschen zu offensichtlich, oder nicht?“
Ryan dreht sich langsam um, zuckt vor Schmerz zusammen und richtet seinen Blick auf den jüngeren Mann, der neben uns steht. „Sie führen doch Trecks zum Machu Picchu?“, fragt er auf Englisch, der einzigen Sprache, die er beherrscht. „Ich hab mal was drüber gelesen. Wie lange dauert das, Sir?“
Der Mann mustert Ryan von Kopf bis Fuß. „Der Camino Inca hat viele Routen“, sagt er auf Englisch mit starkem Akzent. „Die Mollepata ist die längste und schwierigste – nicht für jedermann geeignet“, fügt er hinzu. „Es gibt einen Treck, der vier Tage dauert, und einen Tagestreck. Der Sohn eines Verwandten ist Bergführer. Er kann Ihnen Ihre Fragen besser beantworten.“ Damit dreht er sich um und sagt auf Quechua zu seinem Vater: „Geh und hol Mateo.“
„Hol Mateo doch selbst, wenn du ihn brauchst“, schnaubt der zahnlose alte Mann, „und wenn Mayu nicht sowieso schon alle Freunde und Verwandten zusammengetrommelt hat. Da, bitte, sie kommt schon zurück!“
Und tatsächlich drängen sich jetzt noch mehr Leute ins Zimmer: schöne schwarzäugige Frauen, hübsche Kinder in bunten Kleidern, abgearbeitete Männer und ausgemergelte Greise. Am Ende sind wir umzingelt von ihren Energien, ihren neugierigen Gesichtern. Einige von ihnen berühren kurz Uriels Hand, fast ehrfürchtig, und eine Stimme ruft: „Wie schön er ist!“
Uriel lässt die Begrüßung lächelnd und höflich über sich ergehen, während er ungeduldig in meinem Kopf zischt: Wir müssen weiter. Sofort. Wir können hier nicht länger bleiben und unsere Zeit verplaudern.
Ich teile deine Meinung nicht , widerspreche ich, nicke gleichzeitig mit dem Kopf und verneige mich lächelnd in alle Richtungen. Ryan hat Recht: Wir können Luc nur durch einen Überraschungsangriff besiegen. Wir müssen ihn überrumpeln. Luc rechnet garantiert nicht damit, dass der große Uriel zu Fuß anreist. Wir schleusen uns als Touristen in die heilige Stätte ein. Das geht natürlich nicht so schnell, aber vielleicht verschafft es uns den entscheidenden Vorteil.
„Was tuschelt ihr beide da?“, fragt Ryan misstrauisch und schaut von Uriel zu mir. Er hasst es, wenn wir uns ohne Worte verständigen.
Im selben Moment erbebt der Raum, ja, das ganze Gebäude. Ein langes, gewaltiges Beben, sodass Staub von der Decke rieselt und die Lampen und bunt gemusterten Töpferwaren auf den Holzregalen zu scheppern beginnen. Ich fürchte schon, dass Luc über Zeit und Raum die Hand nach mir ausstreckt, dass er in meinen Kopf einzudringen versucht, um mir den Namen des Ortes zu entreißen, an dem ich mich aufhalte.
Aber das Beben lässt genauso
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