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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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Luft wider. „Wir trennen uns in Cusco.“
    Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, braust Uriel davon, und er weiß, dass ich ihm folgen werde, solange er meinen Liebsten in seinen Armen gefangen hält.
    Schweigend fliegen wir hintereinander her, viele Stunden lang, Hunderte Kilometer in einem Wimpernschlag, ohne müde zu werden. Dann tauchen die ersten winzigen Felszacken im Ozean auf, und ich spüre, dass Uriel uns nach Süden dirigiert. Wir fliegen über ein kleines Atoll, dessen Inseln wie Perlen an einer Kette im Meer verstreut sind. Die Luft unter uns wird fleckig grau und immer undurchdringlicher, je weiter wir nach Süden kommen. Dann sehe ich die riesige Rauchsäule, die aus dem Meer aufsteigt.
    „Die Laysan-Insel, die Gardner Pinnacles, Ni’ihau, Kauai, Oahu“, erklärt Uriel und lenkt uns hinunter.
    Wir zischen mit Tausenden von Metern pro Sekunde durch die Atmosphäre, fallen wie Geschosse aus dem Himmel und nach und nach erkenne ich einen roten Feuerschein in dem Grau. Jetzt sehe ich auch, woher der Rauch kommt: von einer riesigen Vulkaninsel. Lava und Asche schießen aus zahlreichen Gipfeln, Schloten und Spalten. Gesteinsbrocken stürzen ins Meer, wie von einer Riesenhand hineingeschleudert. Der Name der Insel trifft mich unvorbereitet: Hawaii.
    „Einer nach dem anderen erwacht zum Leben!“, ruft Uriel über die Schulter. „Und jeder Einzelne ist verheerend, eine Tragödie für die Sterblichen, aber alle zusammen …“
    Er steigt jetzt wieder über den grieseligen Qualm hinaus, und wir lassen die lange schmutzige Rauchsäule rasch hinter uns, den grauen Fleck, der sich nach Norden und Westen erstreckt.
    „Warum haltet ihr sie nicht auf?“, rufe ich anklagend und jage hinter ihm her, um ihn einzuholen. „Wenn ihr so mächtig seid, Ihm so nahe, warum lasst ihr all diese Katastrophen, diese Tragödien geschehen? Ihr seid doch allwissend, habt auf alles eine Antwort. Tut etwas!“
    Uriel hält mitten in der Bewegung inne, flammend vor Zorn. Ryan hält er noch immer fest im Arm. Ich drossle ebenfalls das Tempo, und plötzlich fürchte ich mich vor dem, was er tun wird.
    „Das sind nun einmal die Bedingungen dieser Welt“, donnert er. „Und Luc nützt sie für seine Zwecke aus. Aber trotz allem, was hier geschieht, geht das Leben auf der Erde weiter, und das ist doch das größte Wunder. Glaubst du etwa, wir freuen uns, wenn ein Leben auf unnatürliche Weise verloren geht? Sag!“
    Ich schüttle den Kopf, betroffen von der Entrüstung, der Zurückweisung in seinem ausdrucksvollen Gesicht, dem Kummer, der sich in seinen Augen spiegelt.
    „Du bist nicht die einzige Fühlende unter den Elohim“, fährt er schneidend fort. „Aber wir sind einfach nicht zahlreich genug, um überall einzugreifen, alle zu retten. Und so bleiben manche verschont, während andere untergehen, und es liegt keine sichtbare Gerechtigkeit darin, kein System, keine Ordnung. Aber wir tun, was wir können, und mehr ist uns nicht möglich.“ Er hält kurz inne, dann fährt er fort: „Das Leben in dieser Welt ist schon dunkel und schrecklich genug, auch ohne das Eingreifen des Teufels und seiner Legionen. Der größte Teil von Lucs daemonium wird nie so mächtig sein wie ein einzelner Erzengel, denn die meisten sind nicht mit Luc gefallen, sondern aus dem Abschaum dieser Welt geschaffen worden. Doch ihre fehlende Anmut, Schnelligkeit und Macht machen sie durch ihre Grausamkeit, ihre Blutgier wett, und durch die schiere Anzahl. Unsere Reihen werden sich mit der Zeit noch mehr lichten, aber das Heer der daemonium wird wachsen, solange Luc lebt.
    Ich weiß, du hast uns früher schon vorgeworfen, dass wir nur Beobachter seien, aber sag mir doch, wie du das Leben eines Menschen gegen ein anderes aufwiegen willst? Jede Handlung hat Folgen, und diese Folgen liegen sichtbar vor uns ausgebreitet, setzen sich ins Unendliche fort, noch ehe wir auch nur einen Finger gerührt haben. Wir kämpfen an vielen Fronten, die sich unablässig verlagern. Manche aus natürlichen Gründen, andere nicht. Es ist unsere Bürde und unser Daseinszweck und wir nehmen sie auf uns.“ Seine Stimme wird jetzt sanfter. „Und deshalb, Mercy, musst du gehen. Das Leben wird weiterbestehen, egal was du tust. Die Menschheit ist zäh – und sie hat schon so viel überstanden. Aber wir können nicht dulden, dass Luc das Böse, die Schrecken, die er auf dieser Erde bewirkt, in andere Welten hinüberträgt. Jetzt ist Selbstlosigkeit gefragt, Mercy –

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