Mercy, Band 4: Befreit
wie Feuer und Wasser“, keucht er in meine Hand. „Und du hast mich fürs Leben verdorben. Ich werde nie wieder eine andere haben, das ist dir doch klar? Weder in diesem noch in allen weiteren Leben.“
„Du kommst schon drüber weg“, erwidere ich grimmig. „So wie der andere auch.“
Plötzlich schießt mir ein Bild durch den Kopf: Ich sehe, wie Gudruns rote Fingernägel auf Lucs Arm ruhen, wie die Saphire in Lucs Manschettenknöpfen das Licht unter der Kuppel der Galleria einfangen und Gudruns strahlend blaue Augen noch intensiver leuchten lassen. Er wollte mich töten , denke ich wild. Wie kann ich ihn da noch lieben? Aber trotz allem, was passiert ist, überwältigt mich wieder der Schmerz, stechend, erbarmungslos, Welle um Welle. Ich vergrabe mein Gesicht an Ryans Schulter, bin starr vor Kummer bei der Erinnerung, was Luc und ich einst füreinander waren. Er könnte jetzt noch in meinen Armen sein, wenn es anders gekommen wäre.
Das alles ist noch so frisch. Luc hatte alle Zeit der Welt, aber für mich war er gestern noch mein Liebster, dem ich alles bedeutete, und im nächsten Moment fand ich mich als Gejagte wieder, die er mit seinem unauslöschlichen Hass verfolgt.
„Mag ja sein, dass er der Teufel ist“, knurrt Ryan, während er seinen Mund auf mein Haar legt und mich so fest an sich drückt, dass es beinahe wehtut, „aber ein Idiot ist er trotzdem, wenn er dich verlassen hat. Ich würde nie über dich hinwegkommen.“
In diesem Moment sage ich die Worte beinahe laut, die Ryan so gern hören würde.
Denn ich liebe ihn wirklich, alles an ihm, aber es ist alles so kompliziert. Und Worte können nichts daran ändern, dass uns die Zeit davonläuft – dass es für uns beide schon zu spät war, bevor es überhaupt angefangen hat. Ich schlucke die Worte hinunter und sie bleiben ungesagt.
„Was kann ich dir schon geben?“, flüstere ich rau. „Du verdienst so viel mehr.“
„Sei still“, sagt Ryan und bringt mich mit einem Kuss zum Schweigen, der beinahe brutal ist.
„Okay, was ist der Plan?“, seufzt er schließlich in mein Haar, und seine Stimme ist jetzt wieder ruhiger, sanfter.
„Ich muss mich orientieren“, murmle ich mit erstickter Stimme. Wie kann er auch noch so nett zu mir sein? „Nuriel ist in der Nähe, ich kann sie spüren. Luc hatte vermutlich nicht genug Zeit, um sie wegzubringen, weil er wie ein Besessener hinter mir her war. Also hör zu, Ryan: Du bringst jetzt Bianca die Kleider, sagst ihr, dass ich gleich nachkomme und dass ich mir nur noch ein paar Skulpturen anschauen wollte. Du lenkst sie eine Weile ab – was dir ja nicht schwerfallen dürfte bei deinem unwiderstehlichen Charme“, füge ich hinzu. „Und währenddessen seh ich mich hier mal ein bisschen um.“
Ryan rückt von mir ab und schaut mir tief in die Augen. „Ich kann dir nicht vorschreiben, was du zu tun oder zu lassen hast“, sagt er ernst. „Du machst ja sowieso immer, was du willst. Aber hau nicht einfach ab, weil das leichter ist, als eine Lösung zu finden. Pass auf dich auf. Und komm zurück, so schnell du kannst. Mein Charme ist in letzter Zeit ein bisschen eingerostet, verstehst du?“
Er holt wieder seine Brille hervor und schiebt sie sich blinzelnd auf die Nase, was mir ein Lachen entlockt. Ich schnippe mit dem Finger gegen seine Basecap, sodass sie ihm vom Kopf fällt und er sich ächzend danach bückt, um sie wieder auf seine kurzen Haarstoppeln zu drücken.
„Wenn du bei ihr bist, nimm die Basecap und die Brille ab“, sage ich grinsend, „dann wird dir eines der reichsten und schönsten Mädchen der Welt bald aus der Hand fressen. Vielleicht ist es sogar Liebe auf den ersten Blick.“ Ich beiße mir auf die Lippen. „Was unter diesen Umständen eine gute Lösung sein könnte … oder vielmehr eine gnädige.“
Ryan schenkt mir ein schiefes Lächeln. „Netter Versuch, aber vergiss es. Der Blitz schlägt nie zweimal an derselben Stelle ein, nicht bei mir jedenfalls.“ Er zieht mich wieder an sich. „Komm zurück, ja?“, haucht er mir ins Ohr.
„Das weißt du doch“, sage ich heftig. „Ich bin nicht mehr Carmen oder Lela. So läuft das jetzt nicht mehr.“
Ich drehe mich um, nehme die kostbaren Kleider und gebe Ryan den Rucksack, den er mechanisch überstreift. Dann fasse ich ihn bei der Hand und führe ihn aus dem Pavillon. Die Bodenleuchten weisen uns den Weg zum Gästehaus, und ich spüre, wie die Zeit wieder einsetzt, wie sie mir zwischen den Fingern zerrinnt, sich
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