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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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verschwindet, langsam, beinahe ungeschickt für ein so schönes, ätherisches Wesen. Sofort erscheint alles ringsum viel dunkler.
    Als Remiel fort ist, nehme ich meine wahre Gestalt an und erhebe mich zischend vom Grund, mein breites Flammenschwert in der Hand. Kaum dass meine Waffe Nuriels Fesseln berührt, werden sie schwarz und lösen sich auf. Nuriel stürzt nach vorne in meine Arme, und das Schwert verschwindet in meiner Handfläche. Ihre Flügel schrumpfen sofort ein, genau wie meine. Nuriel hat nicht einmal mehr die Kraft, sich im Wasser aufrecht zu halten. Aus ihren offenen Wunden sickert ständig Licht, wie Blut.
    Ich muss sie nur kurz berühren, und ich weiß, was ihr angetan wurde. Die Dämonen haben von ihr Besitz ergriffen und ihre Seele aufs Grausamste geschändet. Zuerst Remiel, dann Ananel, immer abwechselnd, bis Nuriel nur noch ihren Tod herbeisehnte oder den Tod der Zeit selbst.
    Nuriel war schon seit Tagen verschollen. Tage, in denen Ananel und Remiel sie mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln gefoltert haben. Denn Engel und Dämonen halten sich nicht an Kriegsregeln. Wir gehorchen keinem Abkommen zum Schutz unserer Geiseln. Wir sind schwarz oder weiß, alles oder nichts. Und das ist das Ergebnis: gebrochene Engel, gebrochene Menschen. In allem eine dunkle Symmetrie.
    Ich ziehe Nuriel zärtlich an mich, um sie so schnell wie möglich an die Oberfläche hinaufzutragen. Aber sie ist wie ein Geist in meinen Armen, ich kann sie nicht halten.
    Mercy , wispert ihre Stimme gespenstisch in meinem Kopf. Sie ertragen die Kälte nicht, seit sie vom ursprünglichen Licht abgefallen sind. Räche mich.
    Ich neige ihr Gesicht zu meinem, aber ihre Augen sind geschlossen und ihre Umrisse flirren. Sie ist wie ein Nebelwesen, kaum noch zu unterscheiden von dem Wasser, in dem wir schweben. Ich weiß, dass sie ihren Verletzungen erliegt, dass sie sich auflöst. Es wäre gnädiger gewesen, wenn ihre Entführer sie auf der Stelle getötet hätten.
    „Nuriel!“, schreie ich verzweifelt. „Wenn das ein Trick ist, nur damit ich die Drecksarbeit für dich erledige, vergiss es! Ich nehme keine Befehle mehr entgegen. Räche dich selbst. Du hast tatenlos dabeigestanden und zugesehen, wie Luc und Michael mich zum Spielball ihrer Interessen gemacht haben. Du hast keinen Finger gerührt, als Luc mich verstoßen hat. Du bist mir was schuldig. Und wenn du Remiel und Ananel niederstrecken willst, musst du es selber tun.“
    Bei meinen Worten zeichnet sich ein leichtes Stirnrunzeln in ihrem Gesicht ab. Ihre weit auseinanderstehenden Augen fliegen auf und die Umrisse ihres Körpers verfestigen sich in meinen Armen. „Ich bin dir gar nichts schuldig“, erwidert sie und windet sich aus meinem Griff. Angestrengt fixiert sie mein Gesicht: „Nicht das kleinste bisschen.“
    Dann driftet sie von mir weg, ihre Haut schimmert bleich im Wasser und ihr langes dunkles Haar bauscht sich um ihr Gesicht wie bei einer Ertrunkenen. Mit schwacher Stimme klagt sie mich an: „Ich habe dich vor Luc gewarnt, immer wieder, aber du hast nicht auf mich gehört.“
    „Er ist ein Dreckskerl“, sage ich leichthin. „Das war er immer. Ich hätte auf dich hören sollen, Nuriel.“
    Nuriel glüht vor Wut und Schmerz bei meinen Worten, wie ich es mir erhofft habe.
    „Ach, und das fällt dir jetzt ein?“, kreischt sie los. „Du bist schuld an allem, was mir angetan wurde. Es ist dein Werk, verstehst du?“
    Ich zucke die Schultern. „Schlimmer als meine Zeit auf der Erde kann es auch nicht gewesen sein. Du lebst noch oder nicht? Und deine Qualen waren nicht von Dauer, so grässlich es auch gewesen sein muss.“
    Ich hasse mich für meine Worte, und es ist mir zuwider, dass ich Nuriel so wehtun muss, aber der Erzengel Michael hat mich gelehrt, Wut zu kanalisieren und als Waffe einzusetzen, wenn sonst nichts mehr da ist, worauf man zurückgreifen kann.
    Nuriel stürzt auf mich los, kreischt wie eine Banshee, die Finger zu Klauen verkrümmt, flammend vor Zorn.
    Ich packe sie an ihren schmalen Handgelenken, bevor sie mir die Augen auskratzen kann, und hauche in ihr Gesicht: „Na also, jetzt bist du ja schon fast wieder die Alte. Warum hast du gesagt, dass sie die Kälte nicht ertragen, seit sie vom ursprünglichen Licht abgefallen sind? Was meinst du damit?“
    Nuriel sackt in meinen Händen zusammen und das Licht, das sie abstrahlt, wird erträglicher für meine Augen.
    „Sprich mit mir“, fordere ich sie sanft heraus. „Ich lasse mich nicht mehr

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