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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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meines wahren Selbst.
    Ich reiße die Tore zu Ryans Herz nieder und die ganze Welt wird unverzüglich rot vor Schmerz, Hitze und Lärm.
    Dann werde ich aus Ryans Körper hinausgeschleudert. Zitternd und keuchend komme ich zu mir und schwöre mir, dass ich so etwas einem lebenden Wesen nie mehr antun werde. Aber auf einmal holt Ryan tief und schaudernd Luft.
    Seine dunklen Augen weiten sich, er würgt und greift sich an den Hals, dort wo ich ihm die Hand aufgelegt habe.
    Ohne zu überlegen, ziehe ich ihn an mich und vergrabe mein Gesicht in seinem dunklen Haar. Ich halte ihn so fest, dass es sich anfühlt, als schlüge sein Herz in meiner Brust, als rauschte sein Blut durch meine Adern.
    Danke , sage ich in stummer Ehrfurcht. Danke .
    Ryan riecht nach Regen, Rauch und Leder, und weil ich ihm so nahe bin, lässt mich seine wiedererwachte Lebenskraft erschauern. Ich allein habe ihn Azraels Händen entrissen.
    In Carmens oder Lelas Körper ist mir etwas Vergleichbares nie widerfahren und in keiner meiner anderen Gastgeberinnen. Ich hatte nie ein Gespür für die besonderen Energien der Menschen in meiner Umgebung. Aber jetzt, in Ryan, kann ich irgendwie … ich kann ihn lesen oder hören wie Musik. Denn es singt aus ihm – wer er ist, was er ist.
    Er lebt. Ist quicklebendig.
    Meine linke Hand brennt nicht mehr, zum ersten Mal seit vielen Jahren. Eine Sekunde lang starre ich gebannt auf meine Haut, meine Finger. Wie lange ist es her, dass ich sie wirklich und wahrhaftig gesehen und gespürt habe, als einen Teil von mir? Meine Haut ist glatt und makellos wie Porzellan.
    Ryan hebt jetzt den Kopf und schaut mich mit schmerzerfüllten Augen an. Lange betrachtet er meine Gesichtszüge, meine schimmernde, kräftige Gestalt. Ich weiß, dass er eine Zeichnung von mir in seinem Geldbeutel herumträgt. Ein Künstler hat sie nach Laurens Beschreibung angefertigt. Aber wirklich gesehen hat er mich nie – mein wahres Ich. Er kennt mich nur als scharfzüngiges, sarkastisches Wesen, das den Körper einer Fremden bewohnt wie ein Ghul. Ist er jetzt … enttäuscht?
    Aber nein – sein Gesicht drückt Staunen, Ehrfurcht und allmählich auch Freude aus. Und noch etwas liegt in seinem Blick: eine Wachheit, die vorher nicht da war. Was er wohl gesehen hat, als er das Tal der Todesschatten durchwanderte? Der Weg ist für jeden Menschen anders, heißt es.
    Wir lehnen nebeneinander an der Steinmauer und starren uns an. Ich habe nur Augen für Ryan, für sein Gesicht. Es ist komisch, aber je länger ich ihn ansehe, umso weniger verspüre ich den Drang, in tausend winzige Partikelchen zu zerspringen.
    „Was …“ Ryans Stimme klingt wie ein Echo aus dem Jenseits. „Was ist da gerade passiert? Es war, als ob ich …“
    „Als ob du brennst?“, werfe ich ruhig ein.
    Ryan nickt und wischt sich mit dem Handballen das Blut vom Mund. „Ja, von innen.“ Er schluckt schwer und verzieht gequält das Gesicht. „Ich bin gestorben, stimmt’s? Ich war t…“
    Ich lege eine Hand auf seine Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Nur keine schlafenden Hunde wecken und Azrael daran erinnern, dass er um seine Ernte betrogen wurde. Sonst kommt er womöglich zurück!
    Ryan schmiegt sein Gesicht in meine hohle Hand. Ich möchte seine Lippen mit meinem Daumen nachzeichnen, aber ich beherrsche mich.
    „Es braucht sehr viel, um einen Menschen ins Leben zurückzubringen“, erwidere ich vorsichtig. „Und meine Erfolgsbilanz als Heilerin ist nicht gerade umwerfend. Du musst also nachsichtig mit mir sein.“
    „Du hast mich gerettet?“ Ryans Stimme ist rau. „Im Ernst? Dann hast du also …“ Er zieht scharf die Luft ein und seine Hände verkrampfen sich unwillkürlich, als er sich an die Schmerzen erinnert, die ich ihm zugefügt habe. Beinahe vorwurfsvoll blickt er mich an. „Das warst … du?“
    Sanft erwidere ich: „Ich hab dir doch gesagt, dass ich kein normales Mädchen bin, Ryan. Aber nachdem ich dich jetzt beinahe umgebracht hätte, sind wir einigermaßen quitt, denke ich.“
    Er hustet, zieht sich mühsam an der Wand hoch und die vertraute dunkle Haarsträhne fällt ihm in die Augen.
    „Ich erinnere mich nur an die vielen Turmspitzen und an diese …“ Er hält stirnrunzelnd inne. „… an diese Gestalten. Das waren doch Menschen dort oben, stimmt’s? Sie sind voll auf uns zugestürzt, und dann, wumm!, bin ich gegen was Hartes geknallt. Zack, Licht aus. Und als ich aufgewacht bin, hast du dich über mich gebeugt. Wie ein

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