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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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mit Rätseln abspeisen und niemand stößt mich mehr herum. Du willst Rache? Dann sag mir, was ich wissen muss. Die Regeln haben sich geändert, seit ich verbannt wurde. Gib mir etwas, was ich gegen sie verwenden kann.“
    Nuriel schlingt sich die Arme um die Schultern und starrt mit leerem Blick vor sich hin. „Ich glaube, das ist der einzige Grund, warum ich noch lebe“, sagt sie mit einer fernen, fremden Stimme. „Luc hat zwei von ihnen als Wächter bei mir zurückgelassen, aber es war immer nur einer da …“ Sie schlägt sich die Hand vor den Mund und wispert schaudernd: „Sie können die Kälte nicht ertragen, weil sie vom ursprünglichen Licht abgefallen sind. Es hat lange gedauert, bis ich dahintergekommen bin. Immer wenn einer von ihnen mich gefoltert hat, ist der andere eine Weile fortgegangen, weil er vom kalten Seewasser geschwächt war, aber wenn er zurückkam, war er …“
    „… gestärkt“, beende ich ihren Satz. „Erneuert …“
    Jetzt weiß ich auch, warum Remiel sich im Wasser so langsam und schwerfällig bewegte.
    Nuriel entdeckt etwas hinter mir. „Ananel“, keucht sie, und ich sehe die Todesangst, den Wahnsinn in ihrem Blick. „Er kommt zurück. Er kommt zurück!“
    Ich wirble herum und sehe ein helles Lichtpünktchen in der Ferne, das mit jeder Sekunde größer wird. Er kommt schnell näher. Uns bleibt nicht viel Zeit, wenn Ananel mich schon gesehen hat.
    „Versteck dich“, zische ich Nuriel zu und stoße sie in den Schlamm. „Steh hier nicht in all deiner Glorie herum, so wie ihr es immer macht, um euch gegenseitig mit eurer Macht und Herrlichkeit zu blenden. Sei wie das Wasser, wie der Schlamm. Sei unsichtbar. Um den Rest kümmere ich mich.“
    Ananel schießt auf mich zu, mit nackter Brust und muskelstrotzendem Rumpf, wie ein schlankes, geschmeidiges Raubtier. Er hält einen schimmernden Dolch mit kurzer, mörderischer Klinge zwischen den Zähnen. Silberne Blasen strömen durch sein langes tiefschwarzes Haar, durch die Spitzen seiner schimmernden Flügel, an dem Flammenmal vorbei, das an seiner Hüfte zutage tritt, als er sich herumwälzt. Er blickt auf den Felsen, an den Nuriel gekettet war, und erstarrt, als er sieht, dass sie fort ist.
    Aber Ananel ist stärker als Remiel. Die Kälte hat ihn noch nicht gelähmt und er spürt etwas in seiner Nähe, nimmt den Dolch in seine rechte Hand und ruft scharf: „Nuriel?“
    Wütend wirbelt er im Wasser herum, sucht mit seinen tückischen Augen die Unterwasserlandschaft ab und zischt: „Zwinge mich nicht, dir nachzujagen, sonst wirst du es bereuen. Wir waren gierig, Remiel und ich, und wollten dich für uns alleine haben. Aber Schwester …“ Mir wird fast schlecht bei diesem Wort. „… Wenn du dich nicht unverzüglich zeigst, werfe ich dich den Legionen vor, die unter meinem Kommando stehen, und dann wird deine Qual grenzenlos …“
    In diesem Moment zeige ich mich, bleibe jedoch außer Reichweite. Ananel lächelt, aber die Finsternis in seinen grauen Augen weicht nicht.
    Ich drifte vor ihm her wie eine Ertrunkene, mein Haar umweht mich wie eine dunkle Wolke, die Fetzen meiner schimmernden Gewänder treiben hinter mir her, und aus meinen vielen schrecklichen Wunden sickert unablässig Licht … Natürlich ist alles gefaked. Alles nur Requisite. Aber Ananel fällt auf meinen Trick herein. Er zweifelt keinen Augenblick daran, dass er Nuriel vor sich hat, denn meine Imitation ist perfekt, bis hin zu den winzigen, schimmernden Kratzern an den Innenseiten meiner Finger und dem Wahnsinn in meinen Augen.
    „Sei barmherzig“, bettle ich mit Nuriels lieblicher, hoher Stimme, die Hände flehentlich erhoben. „Ich habe dich immer geliebt. Und selbst jetzt noch, nach allem, was du mir angetan hast, liebe ich dich.“
    Ananels Augen weiten sich kurz, aber er hat sich schnell wieder im Griff. Zögernd senkt er die Waffe, die lautlos in seiner Handfläche verschwindet. Liebe hat er seit einer Ewigkeit nicht erfahren, denn einem Dämon wie Ananel bleibt die Liebe versagt, die ihn einst so selbstverständlich umgab wie die Luft zum Atmen. Er muss danach lechzen wie nach einer Droge.
    Nuriel lügt nicht, das weiß Ananel so gut wie ich. Sie kann nicht lügen, ist nicht dazu angelegt. Sie ist schlagfertig und erfindungsreich, aber auch sanft, wahr und treu. Ihr einziger Makel, falls man es als solchen bezeichnen kann, ist ihre Unfähigkeit zur Täuschung. Ich sehe, wie Ananel das alles abwägt, dass er es kaum zu glauben

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