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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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bevor er läuten kann, reißt Bianca die Tür auf. Ihre hellen blauen Augen mustern mich angstvoll, als ich mit Ryan über die Schwelle trete.
    Das Haus ist überheizt, die Luft schwer vom Duft brennender Räucherstäbchen. Es riecht wie in einer Kirche.
    Ryan streift seine Kapuze ab, stopft die Mütze in seine Jackentasche und Bianca murmelt: „Ich erinnere mich an dich. Ich kenne dich aus dem Atelier Re. Du warst die … diese Gestalt, die ich gesehen habe. Es war keine Einbildung. Dich gibt es wirklich.“
    Vorsichtig umkreist sie mich. Bianca ist schlank, mittelgroß, mit einem ovalen Gesicht, dunklen schön geschwungenen Augenbrauen und einem leicht südländischen Teint. In ihrem einfachen grauen Pulli, mit den nackten Füßen und dem dicken Zopf wirkt sie viel jünger als die verwöhnte Haute-Couture-Kundin, die ich in Erinnerung habe.
    Zögernd streckt sie eine Hand aus, als wollte sie mich berühren, lässt sie aber schnell wieder sinken. „Tomaso ist total ausgerastet“, murmelt sie und starrt ungläubig auf meine flirrende Silhouette. „Als ich ihm gesagt habe, dass ich hier unten selber auf mich aufpassen kann, hat er verlangt, dass ich mich alle zehn Minuten bei ihm melde. Aber nachdem ihr beide jetzt bei mir seid, kann ich ihn vielleicht abwimmeln. Sie ist … da drin“, fügt sie stockend hinzu und zeigt in einen langen, schmalen Flur. „Ich lasse euch jetzt kurz allein und rufe ihn an.“
    Bianca wirft ihren Zopf über die Schulter zurück und stürzt in ein Zimmer direkt neben der Eingangstür.
    Ryan hält mich fest an der Hand, als wir den Gang durchqueren. Der Wind rüttelt an den deckenhohen Fenstern, durch die man den See sieht. Vom Esszimmer zweigt ein weiterer kleiner Flur ab, der im Dunkeln liegt, und von dort führt eine offene, schmiedeeiserne Treppe in eine Wohnlandschaft mit bequemen Sofas, raffinierten Lampenarrangements, Spieltischen und einem gepolsterten Armsessel hinunter. Mein Blick fällt auf eine ultramoderne Musikanlage, Regale, die vor Büchern, Schallplatten, CD s und Brettspielen überquellen, einen riesigen Fernseher und einen alten Flipperautomaten.
    Eine zweite Treppe geht vom Wohnbereich ab und führt noch weiter nach unten. Das Haus ist viel größer, als es auf den ersten Blick scheint. Doch das größte Wunder in diesem Labyrinth aus Glas und Stahl ist die hochgewachsene Gestalt, die im Wohnzimmer auf einer der Couchen liegt. Alles an ihr ist in einen verräterischen Glanz gehüllt – ihre blasse Haut, ihre dunklen Haarspitzen, ja sogar die lächerliche Strickmütze und ihr ganzes Winteroutfit bis hin zu den Schneeboots.
    Nuriel hat die Augen geöffnet und schaut durch das Dachfenster, als kommuniziere sie mit Geistern. Ich folge ihrem Blick und erschrecke über die unnatürlichen Wolkenberge, die sich dort draußen aufgetürmt und den Mond verschlungen haben, samt dem leuchtenden Firmament, an dem er seine Bahn zieht.
    Ryan spürt meine Anspannung und drückt mir die Hand, gibt mir wortlos zu verstehen, dass ich zu Nuriel gehen soll und dass wir uns später unterhalten können. Der Wind pfeift hohl ums Haus, während ich mich dem Wesen nähere, das einst meine beste Freundin war.
    Nuriel richtet ihren leeren, zerstörten Blick auf mich, als ich mich auf der Sofakante neben ihr niederlasse. Wir sehen uns lange an, ohne zu lächeln, fast ungläubig, dass wir nun auf diese Weise zusammen sind, nach allem, was geschehen ist.
    Nuriel bricht schließlich das Schweigen und wispert: „Weißt du, was das Schlimmste war? Dass du mich nie erkannt hast. Nicht ein einziges Mal in all der Zeit, die ich über dich gewacht habe. Ich konnte dich sehen, aber du mich nicht – du warst wie ein hirnloses, seelenloses Gespenst. Erst als du Irina warst und ich dir in der Via Borgonuovo in die Augen gesehen habe, konnte ich etwas wie … Wiedererkennen in deinem Blick entdecken. Du hast keine Ahnung, was ich in dem Moment empfunden habe. Endlich wusste ich, dass du noch da bist, dass du dein langes Martyrium irgendwie überlebt hast.“
    „Raphael hat seine Arbeit zu gut gemacht“, erwidere ich leise. „Wenn Luc nicht auf die Idee gekommen wäre, die Acht zu entführen, einen nach dem anderen, wäre ich jetzt immer noch gefangen, würde von Menschenkörper zu Menschenkörper wandern, so wie Raphael es sich vor langer Zeit ausgedacht hat.“
    Ich nehme Nuriels Hand, und sie umklammert meine einen Augenblick mit aller Kraft, bevor sie ihren Griff wieder lockert.
    „Er hat dich

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