Mercy, Band 4: Befreit
möblierten Räume des Hauses wie ein ruheloser Geist, bis die erschöpfte Bianca verkündete: „Tomaso lässt den Wagen um sechs am Gästehaus vorfahren. Er hat eine Polizeieskorte organisiert, die euch von der Straßensperre zum Flughafen von Malpensa bringen wird. Am Hangar erwartet dich das volle VIP -Programm, Ryan, aber so kommst du schneller in den Flieger. Und wenn du in Paris landest“, fügt sie hinzu, „steht einer unserer Fahrer an der Landebahn von Le Bourget bereit. Ich hab dir versprochen, dass wir dich dorthin bringen und dass du wie ein Familienmitglied behandelt wirst, und ich halte mein Wort. Der Fahrer holt dich direkt am Flieger ab, die Zoll- und Einreise-Formalitäten werden an Bord erledigt. Das wird der Moment sein, in dem du dich unsichtbar machen musst, Mercy. Wenn du gesehen wirst und deine Anwesenheit nicht erklärt werden kann, werde ich jede Verbindung zu dir abstreiten.“
Dann drehte sie sich um und verschwand in einem ihrer Zimmer, bevor wir uns bei ihr bedanken konnten.
Jetzt stehe ich am Fenster unseres hell erleuchteten Schlafzimmers und warte auf den Tagesanbruch. Ich blicke auf die aufgewühlten schwarzen Fluten des Sees hinaus, als Ryan plötzlich aus dem Badezimmer kommt, mit nassen Haaren und einem Apfel in der Hand. Er hat sich ein hellblaues Handtuch um die Hüften geknotet und auf seinen breiten Schultern funkeln Wassertropfen, die das Licht einfangen wie Edelsteine. Etwas Schöneres habe ich schon lange nicht mehr gesehen.
Ryan lächelt mich an, lässt den Apfel auf einen Nachttisch fallen und streckt die Hand nach mir aus. Aber bevor ich auf ihn zugehen kann, zuckt ein verstörendes Bild vor meinem inneren Auge auf: Luc mit nacktem Oberkörper, genauso in Licht gehüllt wie Ryan jetzt, und er hält mir auf die gleiche Art die Hand hin. Ich schüttle den Kopf, weiche zurück, ehrlich erschrocken und verwirrt.
Ryan ist natürlich bestürzt über meine seltsame Reaktion. Eine Sekunde lang flackert Wut in seinen Augen auf, die aber sofort einer belustigten Zärtlichkeit weicht.
„Das ist alles so verkorkst“, seufzt er, und schnappt sich eines der großen, prallen Kissen vom Bett, boxt es zurecht und drückt es an die Wand. Dann lässt er sich mit dem Rücken dagegensinken, nicht unter, sondern auf der Decke, und blickt mich unverwandt an, während er seinen Apfel aufisst.
„ Ich bin verkorkst“, verbessere ich ihn und gehe auf ihn zu.
Als ich vor ihm stehe, schaue ich nachdenklich auf sein Gesicht hinunter. Es ist zugleich fremd und vertraut, ein Geheimnis, das zu entschlüsseln ich weder den Geist noch das Talent besitze.
Ryan zögert nicht. Er reagiert wie immer, wenn ich ihm nahe genug komme: Er zieht mich an sich, als wären wir die beiden Hälften eines Ganzen, obwohl das natürlich nicht möglich ist.
Ich falle wieder, aber diesmal spüre ich keine Angst. Ich lande halb auf seinem Schoß, das Handtuch zwischen uns, das feucht von seiner Haut ist, und ich kämpfe lachend um mein Gleichgewicht, um Distanz – oder zumindest den Anschein davon. Seine Brust ist warm und ich spüre das Muskelspiel unter seiner Haut, als er mich fest in den Arm nimmt und eine Weile nur atmet.
„Wie kommt es, dass du nach Schnee riechst?“, murmelt er verwundert.
Ryan ist ein Sammelsurium von Widersprüchen, alles an ihm ist wie in Samt gehüllter Stahl.
Plötzlich wirft er mich auf den Rücken, überrumpelt mich, wie er es immer macht, um die Abwehrmechanismen auszutricksen, die von Erzengeln höchstpersönlich in mir angelegt wurden. Er bedeckt mich mit wilden Küssen, legt eine Kussspur von meiner Halsmulde bis zur Kieferlinie und ich bäume mich ihm entgegen. Erst als er meinen Mund berührt, zieht er sich widerstrebend zurück.
„Jetzt weißt du, wie ich mich fühle, wenn du in meiner Nähe bist“, murmelt er, und ein amüsiertes, sexy Lächeln spielt um seine Lippen. „Flattrig, aufgekratzt, außer Kontrolle, kurz vorm Durchdrehen. Wir sind wieder ganz am Anfang, du und ich. Uns trennt nichts als ein blödes Handtuch.“
Meine Augen weiten sich, werden dunkel vor Verlangen, und er sieht, wie wehrlos seine Handlungen, seine Worte mich machen, und genau das will er ja auch.
Er öffnet seinen Mund, küsst mich, drückt mich an sich, Fleisch an Fleisch, Energie an Energie, bis ich die Hitze unter seiner Haut aufsteigen spüre, genauso wie unter meiner. Er schmeckt nach Äpfeln und Minze und der salzig-süßen, wogenden See. Die warnende Flamme züngelt durch
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