Mercy, Band 4: Befreit
und das Grau der Iris verschwimmt zu einem hellen, durchsichtigen Blau, wie lebendiges Eis, wie splitterndes Wasser.
Und sein Gesicht … mein Gott, ich habe nicht Ananel mit meinem Dolch durchbohrt, sondern Luc. Den Luc aus Mailand, aus dieser Welt, den ich nie wirklich kennengelernt habe, der sein goldenes Haar kürzer trug, als ich es je gesehen hatte, mit einem sexy Designerbart um die Kinnlinie.
Sobald ich sein Gesicht sehe, durchzuckt mich der Schmerz. Ich spüre, wie ich mich körperlich verkrümme in diesem falschen Traum, dieser verzerrten Erinnerung, und ich weiß, dass der Traum von ihm kommt. Er greift über Raum und Zeit hinweg nach mir, um mich im Hier und Jetzt zu verletzen. Es ist, als hätte ich ihn selbst gerufen, obwohl ich ihn doch nicht mehr will – weder in meinem Kopf noch in meinem Leben.
Ich winde mich in Todesqualen im Wasser und Lucs Mund verzieht sich zu einem mörderischen Grinsen. Er packt den Griff des Dolchs, der tief in seiner Kehle steckt, und reißt ihn heraus.
Die Waffe gehorcht nicht den Gesetzen, die am Beginn der Zeit festgelegt wurden, sonst müsste sie jetzt mit einem Aufflackern in seiner Hand verschwinden. Stattdessen hält er die flammende Klinge hoch, und ich sehe, wie sich die Flamme sofort verändert und das hellblaue heilige Feuer von einem Licht verschluckt wird, das die Trübung von Dämonengrau in sich trägt.
Die Zeit fängt an zu rasen und steht zugleich still, und dann sehe ich, wie er seinen schönen Mund öffnet, um meinen Namen auszusprechen. Aber ich kann ihn nicht hören, denn in meinem Kopf bricht die Hölle los, sodass ich taub, stumm und blind vor Schmerz bin.
Luc brüllt meinen Namen wie eine Beschwörung, als verkörpere er die schwärzeste Höllenmagie, und im nächsten Moment legt sich eine seiner feingliedrigen Hände um meinen Hals und drückt zu, wird eins mit meinem Fleisch.
Dann reißt er mich in den Schlamm hinunter, so brutal und schnell, dass das Wasser aufschäumt. Und dort legt er sich auf mich, drängt sich an mich, in einer schrecklichen Parodie unserer Liebesspiele in den hängenden Gärten von einst. Ich spüre, wie er die Spitze der kurzen, flammenden Klinge unter mein Kinn drückt, als wollte er sie hineinbohren.
Ich sammle meine ganze Kraft, um zu schreien, da höre ich Luc leise sagen: Kleine Närrin, du hast mir selbst verraten, wo du bist, deutlicher als mit Worten.
Und ich befehle mir: Erwache!
Ich reiße die Augen auf und Ryan schaut mich besorgt an. Ich bin so verwirrt und verzweifelt, als ich sein Gesicht über mir sehe, dieses schöne Gesicht , dass ich hastig vor ihm zurückweiche, mich vom Bett herunterwerfe, auf allen vieren krieche und würge. Ich war nie gut im Zeichenlesen, aber diesmal weiß ich, was meine innere Stimme, mein innerer Dämon mir sagt. Wovor er mich warnen will. Die Gefahr ist zu real, um sie zu ignorieren.
„Wir müssen fort“, keuche ich, als ich endlich begreife, wo ich bin. „Luc weiß, dass ich Mailand verlassen habe. Wenn Michael und die anderen ihn nicht mehr in Schach halten, jagt er mir nach. Uns.“
Ryan sieht mich einen Augenblick lang ungläubig an, dann ist er bei mir auf dem Boden, streicht mir mein schweres Haar aus dem Gesicht und zieht mich zu sich hoch.
Ich zittere so heftig, dass ich kaum sprechen kann. „Wir dürfen nicht zulassen, dass er uns hier findet. Er kann nicht wissen, dass Bianca uns hilft. Zum Glück, das wäre sonst ihr Todesurteil.“
Hektisch springe ich auf die Füße, stolpere durchs Zimmer und werfe unsere verstreuten Habseligkeiten in den Rucksack, den Gia mir gegeben hat.
„Aber was hast du denn gesehen, um Himmels willen?“, fragt Ryan, der immer noch am Boden kniet und flehentlich zu mir hochschaut.
„Ich habe nachgedacht“, murmle ich. „Meditiert. Vielleicht sogar geträumt, ich weiß nicht. Aber der erste der Dämonen, den ich …“ Ich verstumme, denke an die Brutalität des Kusses, an die Gewalt, die darauf folgte.
Ryan steht auf und zieht sich hastig an, ohne den Blick von mir abzuwenden. Mechanisch sucht er in der Innentasche seiner Lederjacke nach seinen Wertsachen, nach der Zeichnung von mir, die er immer bei sich trägt wie ein Heiligenbild.
„Komm, beeil dich“, drängt er, während er in die Jacke schlüpft und seine Stiefel anzieht.
„Ich hab Luc gesehen. Dort, wo ich den Dämon … getötet habe. Und Luc hat mich überwältigt. Er hat gesehen, wie Ananel gestorben ist. Er weiß, dass ich es war.“
„Aber woher
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