Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
kalt in sich hinein. »Aber Bentz wird's jetzt kapieren. Heute
Abend noch.« Olivia konnte kaum sprechen vor Abscheu und Furcht, doch sie zwang
sich, die Frage über die Lippen zu bringen: »Was zum Teufel hat er Ihnen
angetan?«
»Das weißt du wirklich nicht?« Sie zögerte,
dachte für einen kurzen Moment nach. »Er hat mich sitzengelassen. Nicht
einmal, sondern zweimal, für die Schlampe, die ihm immer wieder das Herz
gebrochen hat.« Sie schaute zur Wand, doch ihr Blick war auf etwas gerichtet,
das nur sie sehen konnte. »Ich habe ihn geliebt, habe ihn zurückgenommen, ihm
vertraut, an ihn geglaubt ...« Ihre Stimme verklang, Tränen schossen ihr in die
Augen. »Er hat mich verlassen. Alleingelassen. Und als Jennifer tot war, hat
der Scheißkerl angefangen zu trinken. Ich durfte ihm nicht helfen, nein!« Sie
schniefte laut, dann straffte sie die Schultern. »Ohne einen einzigen Blick
zurück hat dieser Feigling L.A. verlassen und ist nach New Orleans gegangen, wo
er dir begegnet ist.« Sie schüttelte den Kopf. »Und du, die Ehefrau, die all
seine Geheimnisse kennen sollte, weißt nicht mal, wer ich bin, stimmt's?«
Sie hatte recht. Olivia konnte die Frau nicht
einordnen. »Vielleicht ist es am besten so. Du musst es nicht wissen. Aber
Bentz. Ihm wird ein Licht aufgehen, und er wird für immer damit leben müssen.«
Olivia starrte die Kamera an und verspürte eine
Welle der Übelkeit. Von der Schwangerschaft? Vor Angst? »Was haben Sie vor?«,
fragte sie mit einer Stimme, die sie nicht als ihre eigene erkannte.
»Wonach sieht es denn aus? Ich werde alles
aufnehmen, digital, einen kleinen Film von dir machen.« Olivia musste an
Kriegsgefangene denken, die vom Feind mit an die Schläfe gehaltener Waffe oder
anderen drastischen Mitteln gezwungen wurden, Dinge zu sagen, die sie nicht
meinten, und Ansichten zu äußern, an die sie nicht glaubten. Sie erbebte
innerlich und versuchte, Ruhe zu bewahren. Rational zu denken. Noch war nichts
passiert. »Für die Nachwelt.« Zufrieden, dass Kamera und Stativ sicher
postiert waren, blickte die Frau in den Sucher, blinzelte und stellte das
Objektiv ein. »Los geht's, wir können jetzt anfangen.« Sie legte einen Schalter
um und stellte die Kamera an, dann positionierte sie sich vor dem Käfig,
gerade außerhalb von Olivias Reichweite, doch so, dass das Objektiv sie
einfing.
»Hi, RJ«, sagte sie ohne jede Spur von der
rauchigen Stimme, die bei ihren nächtlichen Anrufen zu hören gewesen war. »Ich
hoffe, du findest das hier, zusammen mit dem Boot und deiner Frau.« Wie bitte? O Gott, nein!
»Das wäre gut«, fuhr sie fort. »Die Kamera ist
nämlich nicht nur wasserfest, sie ist für Unterwasseraufnahmen gemacht. Wie du
siehst, habe ich Olivia in meine Gewalt gebracht... Sie war über einen Tag mein
Gast auf der Merry Anne. Ich
hatte gehofft, wir könnten noch ein bisschen länger zusammen sein, aber ich
will keine weitere Zeit verschwenden, und um die Wahrheit zu sagen: Sie
langweilt mich.« Sie sah Olivia an. »Sag Ricky hallo, Liwie. Wink ihm. Zeig
ihm, dass es dir gutgeht. Noch.«
Olivia regte sich nicht. Nicht nur, dass sie
sich zu Tode ängstigte, sie wollte dieser Irren keinen Anlass zur Genugtuung
geben.
»Ups, scheint so, als sei Liwie schlecht gelaunt.
Vielleicht redet sie mit dir, wenn ich fort bin. Ihr habt noch ein bisschen
Zeit für euch, während ich aufs offene Meer hinausfahre. Ich könnte sie ebenso
leicht umbringen wie die anderen, meine guten Freundinnen Shana, Lorraine und
Fortuna. Tally ist mir entwischt, aber wie du weißt, kann man manchmal nicht
alles haben. Dafür habe ich jetzt Liwie. Jennifers Freundinnen haben mir
geholfen. Sie haben mir so viel über dich erzählt, RJ, über Jennifer und euer
gemeinsames Leben! Arme Jennifer. Sie konnte einfach nicht den Mund halten.
Hat ihren Freundinnen jedes Detail berichtet, was ihr am Wochenende gemacht
habt, sogar, wo ihr das erste Mal miteinander geschlafen habt. Und ihre Freundinnen
haben sich gern daran erinnert.« Was für ein entsetzlicher Vertrauensbruch,
dachte Olivia - diese Psychopathin hatte die Frauen benutzt und anschließend
umgebracht.
»Dann haben Sie sie ermordet?«, fragte sie. Das
Boot schaukelte sanft und ächzte leise auf dem bewegten Wasser. »Natürlich!«
Sie warf Olivia einen ärgerlichen Blick zu, der ausdrücken sollte, dass Rick
Bentz' zweite Frau ein Volltrottel war. »Für eine Psychologin bist du ziemlich
schwer von Begriff. Mir blieb doch gar keine andere Wahl, als
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