Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
Nase.
Er dachte daran, wie Jennifer zwischen den
Bäumen hinter seiner Veranda gestanden hatte. So dicht an seinem Haus - Olivias
Cottage. Und jetzt die Fotos. Er blickte auf den Beifahrersitz und auf das Bild
von Jennifer beim Überqueren der Straße. Entweder war die Frau auf dem Foto
seine Ex oder eine Doppelgängerin.
Geister lassen sich nicht fotografieren.
Ausgeburten des Wahnsinns sind nicht real und können daher nicht auf Filmrollen
gebannt werden.
Also war sie echt? Bei dem Gedanken wurde ihm
flau im Magen.
Wer hatte hinter seiner Veranda gestanden,
hinter dem Haus, das Olivia in ihre Ehe mit eingebracht hatte? Alles in allem
war ihm diese letzte Begegnung zu nahe, beunruhigend nahe, zu nahe an Olivia.
Die Vorstellung, dass seine Frau in diese Sache
hineingezogen wurde, dass ihre Sicherheit - und sei es auch nur ansatzweise -
beeinträchtigt sein könnte, gefiel ihm nicht. Olivia hatte sich in dem Haus
immer sicher gefühlt. Da Harry S. als Wachhund vollkommen ungeeignet war,
hatten sie vor Jahren eine Alarmanlage installiert, darauf hatte Bentz
bestanden. Sie schalteten sie nur selten ein, doch das würde sich ändern
müssen.
Die Ampel sprang auf Grün. Er musste warten, bis
eine ältere Frau auf einem Roller die Kreuzung überquert hatte. Als die Straße
frei war, bog er zügig um die Ecke und stieg gleich darauf in die Bremse. Ein
Teenager in ausgebeultem T-Shirt und Shorts lief bei Rot über die Straße, die
Ohrhörer seines iPods in den Ohren. Er bekam gar nicht mit, dass Bentz ihn
beinahe umgefahren hätte.
Bentz fuhr an der Polizeistation vorbei und
stellte fest, dass Brinkman auf seinem Parkplatz geparkt hatte. Keine große
Überraschung: Obwohl er ein guter Cop war, war Brinkman schon immer eine
schreckliche Nervensäge gewesen. Und wer konnte ihm einen Vorwurf machen? Bentz
brauchte seinen Parkplatz ohnehin gerade nicht. »Dann leg mal los«, sagte er
zu sich selbst und fuhr zu einem Coffeeshop mit Internetzugang. Er stellte eine
Verbindung her und nippte an seinem kalten Kaffee. Während er geräuschvoll die
Eiswürfel zermalmte, suchte er nach jeder noch so kleinen Information, die er
über seine erste Frau finden konnte, und googelte sogar sich selbst. Meistens
wurde er als Held dargestellt, der während seiner Zeit beim Police Department
von New Orleans schon mehr als einen Serienmörder zur Strecke gebracht hatte.
Doch es gab auch schlechte Presse, Storys aus
L.A. über einen Cop mit angeschlagenem Ruf, der das Department während eines
ungelösten Falls, der hohe Wellen schlug, verlassen hatte.
Dann war da noch die Schießerei gewesen. Er
hatte einen zwölfjährigen Jungen mit einer Spielzeugpistole für einen Killer
gehalten, der seinen Partner abknallen wollte. Bentz hatte den Jungen gewarnt
und abgedrückt. Der Junge, Mario Valdez, war bei seiner Ankunft im Krankenhaus
für tot erklärt worden.
Bentz hatte zur Flasche gegriffen und mit schwer
angeschlagenem Ruf das Department verlassen. Glücklicherweise hatte ihm
Melinda Jaskiel hier, in New Orleans, eine zweite Chance gegeben, also war er
umgezogen. Der Rest war Geschichte.
Und jetzt hatte offensichtlich jemand vor, ihn
nach L.A. zurückzulocken, daran zweifelte er nicht eine Sekunde. Aber warum? Und warum ausgerechnet jetzt? Er trank seinen Kaffee
aus, dann wählte er die Nummer von Montoyas Handy und hinterließ eine Nachricht
auf dessen Anrufbeantworter mit der anschließenden Bitte, er möge ihn
zurückrufen. Bentz ließ den Blick durch den kleinen Coffeeshop gleiten, wo
sich die Gäste um hohe Tische drängten oder in dick gepolsterten Sesseln am
Fenster saßen. Zwei Frauen in den Vierzigern teilten sich einen Doughnut.
Drei Teenager, ein Junge und zwei Mädchen, lümmelten sich in den großen Sesseln
und schlürften irgendeine Mokka-Kreation mit turmhoher Sahne und Kakaopulver,
wobei sie mit Lichtgeschwindigkeit SMS verschickten, ohne ihr Gespräch zu
unterbrechen. Zum Glück war seine erste Frau - oder ihr Geist - nirgendwo zu
sehen. Nicht, dass es ihn überrascht hätte, wenn sie hier aufgetaucht wäre.
Doch wie auch immer, die Antwort auf das Rätsel
um Jennifer lag in Kalifornien. Er holte wieder die Fotos hervor. Definitiv
L.A. In einer Ecke des Bildes, auf dem sie über die Straße lief, war eine Palme
zu sehen, und ein geparktes Auto hatte ein kalifornisches Nummernschild. Auf
dem Foto von ihr in dem Coffeeshop war ein Stück Straßenschild zu erkennen,
die Buchstaben ado Aven. Irgendeine Avenue vermutlich. Das
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