Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
Die Lichter eines dunkelblauen SUV gingen an. Nein!
Er durfte sie nicht entkommen lassen. Sie
öffnete die Autotür, dann drehte sie sich zu Bentz um, grinste provokativ und
warf ihm eine Kusshand zu. »Jennifer!«, schrie er.
In diesem Augenblick trat ein Mann aus dem
Schatten und richtete eine Pistole auf ihren Kopf. Bentz wäre um ein Haar
gestolpert.
»Polizei! Keine Bewegung!«, befahl Reuben
Montoya, das Gesicht zu einer grimmigen Maske verzogen, den Finger am Abzug.
»Jada Hollister, Sie sind verhaftet.«
Solange das Boot in Bewegung war, blieb Olivia
noch Zeit, nach einem Fluchtweg zu suchen. Sie musste hier raus ... irgendwie.
Wieder und wieder hatte sie sich in ihrem
Verschlag nach einer Möglichkeit umgesehen - vergeblich. Die Kamera war knapp
außerhalb ihrer Reichweite, und das Einzige, was sie jenseits des Käfigs zu
fassen bekam, war das Fotoalbum mit seinen verblassten, blutverschmierten
Bildern. Offenbar hatte es diese Psychopathin glücklich gemacht, ihr Blut - oder
das Blut von jemand anderem - auf Bentz' Leben zu tröpfeln.
Obwohl es mit den Handschellen schwierig war,
streckte Olivia die Arme durch die Gitterstäbe, und es gelang ihr, die Seiten
umzublättern. Ihr Entsetzen vergrößerte sich noch, als sie auf den Fotos die
Geschichte von Bentz' Leben verfolgte: Rick als Kind mit seinem Halbbruder
James. Rick in Boxershorts und Boxhandschuhen auf der Highschool vor einem
Sandsack. Ricks Abschlussfoto vom College und eins von der Polizeiakademie.
Dann ein verblichener Schnappschuss von einer jüngeren Version der Frau, die
sie als Gefangene hielt, mit Rick in einer Bar. Die beiden hielten Drinks und
Zigaretten in den Händen und wirkten glücklich und vertraut.
Genau wie sie gesagt hatte. Diese Irre und Rick
waren ein Liebespaar gewesen.
Sie war die Verschmähte - die doppelt
Verschmähte sogar, denn Rick hatte sie offenbar zweimal sitzengelassen. Wegen
Jennifer.
Das hatte sie Olivia erzählt, und diese Bilder
waren die Bestätigung. Olivia biss sich auf die Unterlippe und blätterte durch
die Seiten, auf denen Ricks Leben mit Jennifer festgehalten war, gefolgt von
Fotos, die ihn mit anderen Frauen zeigten, vermutlich nach ihrer Trennung.
Wieder tauchte diese Frau auf. Und diesmal war ihr Lächeln nicht so breit,
nicht so vertrauensselig.
Wie konnte jemand derart besessen sein? Olivia
fühlte sich elend.
Sie blätterte noch ein paar Seiten um, sah die
Familie wiedervereint, und dann ... dann kamen die Fotos von ihr. Die
Hochzeit. Aufnahmen, die Bentz und sie bei Wohltätigkeitsveranstaltungen
zeigten.
Tränen füllten ihre Augen, als sie die Liebe
sah, die sie verbunden hatte, festgehalten in diesen Bildern. Das Funkeln in
ihren Augen und Ricks sexy Grinsen. O Gott, was war nur aus ihnen geworden? Ihr
Herz zog sich schmerzhaft zusammen, wenn sie an all das dachte, was sie
verloren hatte. Und jetzt war es zu spät. Der Zorn dieser kranken Mörderin war
nicht mit dem Tod von Jennifer Bentz verpufft. Stattdessen hatte sich ihre Besessenheit
von Rick noch verschärft, hatte sie sich noch mehr auf ihn konzentriert, und
Olivia war ihre Zielscheibe geworden. Nun würde sie sterben, genau wie Jennifer
vor ihr bei einem sorgfältig geplanten »schrecklichen Unfall« ums Leben kommen.
Olivia schloss die Augen und spürte einen
stechenden Schmerz im Unterleib, so heftig, dass sie die Luft durch die Zähne
einzog. Sie kauerte sich zusammen und klammerte sich an die Gitterstäbe.
Sie merkte, dass das Boot Geschwindigkeit
aufnahm, durch das Meer seinem tödlichen Ziel entgegenpflügte. Der Schmerz
begann abzuflauen. Sie hob den Kopf und atmete tief ein. Alles würde gut
werden, für sie und für ihr Baby. Irgendwie würde es ihr gelingen, sie beide zu
retten. Sie musste nur weitermachen - Allmächtiger!
Ein weiterer messerscharfer Schmerz durchfuhr
sie. Wie eine Klinge, die tief in ihrem Innern gedreht wurde. Sie schnappte
nach Luft. Das Baby? Eine Fehlgeburt?
Nein! Nein! Zitternd atmete sie ein, versuchte, sich
zusammenzureißen. Mit dem Kind und ihrer Schwangerschaft war alles in Ordnung. Dem Baby geht es gut.
Doch der Schmerz ließ nicht nach. Olivia warf
einen Blick auf das geöffnete Album, als sie einen weiteren, heftigen Krampf im
Unterleib verspürte. Dem
Baby geht es gut!
Sie fing an zu keuchen, stieß schnaufend die
Luft aus, konnte vor Schmerzen kaum noch klar denken. Dem Baby geht's gut, dem Baby geht's gut, dem Baby geht's
gut!
Sie biss die Zähne zusammen bei
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