Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
einer Toten.
Er stellte den Wagen auf seinen Stammparkplatz
vor dem So-Cal Inn, zog den Zündschlüssel ab und schaute erneut in den
Rückspiegel.
Diesmal erblickte er außer seinem eigenen
Gesicht eine weitere Person, die hinter seinem Wagen auf der gegenüberliegenden
Seite des Parkplatzes stand. Jennifer!
Das konnte nicht sein. Sie würde doch nicht
ausgerechnet jetzt auftauchen. Hektisch wandte er sich um.
Sie war fort.
Innerlich bebend, stieg er aus dem Auto und
blieb daneben stehen. Er hörte die Geräusche der hereinbrechenden Nacht und das
Tickern des abkühlenden Motors. Wo hatte sie gestanden? Unter der
Straßenlaterne? Neben dem Topf-Ficus?
Er ging über den staubigen, vom flackernden
Licht des Neonschildes erhellten Parkplatz, seine Schritte wurden schneller
und schneller.
War da eine Bewegung hinter dem Pflanztopf?
Jemand, der wegrannte? Es
muss nicht unbedingt sie sein. Doch er lief jetzt, die
Augen fest auf das Bild geheftet, das er vor sich sah: eine flüchtende Frau mit
dunklen Haaren. Ein Dejá-vu.
Ein unheimliches Gefühl, das ihm an die Seele
ging. Er dachte daran, wie er ihr den steilen Pfad hinunter gefolgt war, wie
sie sich umgedreht und ihm eine Kusshand zugeworfen hatte, bevor sie von der
Plattform in den tosenden Ozean tief unter ihnen gesprungen war. Er erinnerte
sich daran, wie er ihrem Schatten durch die baufällige Mission in San Juan
Capistrano hinterhergejagt war, und an die gestrige Verfolgung beim Friedhof.
Was willst du, du Miststück?
Ich weiß, dass du nicht Jennifer bist.
Er legte einen Sprint ein, ohne groß auf die
Ampeln oder vorbeifahrende Autos zu achten. Eine Hupe gellte, und jemand
schrie laut, als er die Straße bei Rot überquerte, doch er ignorierte alles.
Auch sein Bein. Er holte jetzt auf, doch sie war immer noch einen Block vor ihm
und rannte in vollem Tempo. Was zum Teufel ...?
Eine alte Erinnerung stieg in ihm hoch, und
wieder überkam ihn das Gefühl eines Dejá-vus. Eine andere Zeit. Ein anderer
Ort.
Er dachte daran, wie er Jennifer durch den
sonnengetüpfelten Park bei Point Fermin gejagt hatte. Wie er sie geschnappt
hatte, atemlos, in einer Laube, und sie wie verrückt geküsst hatte. Sie
schwitzten beide, ihre Brüste unter der dünnen Bluse pressten sich an ihn. Er
hatte ihr die Bluse über den Kopf gezogen, sie mit dem Rücken gegen einen
rauhen Baumstamm gedrückt und sie weiter ausgezogen. Dann hatte er sie im
Schatten der Laube geliebt. Oh...
Eine weitere Erinnerung kam an die Oberfläche.
Wie er nach Sonnenuntergang am Strand von Santa Monica hinter ihr hergelaufen
war, über sich den lodernden Abendhimmel, die Flut, die ihre Knöchel umspülte,
während sich auf dem Pier das Riesenrad über dem Ozean drehte ... Narr. Hör auf
damit. Schnapp dir diese Frau und verbann Jennifer für immer aus deinem Kopf.
Du liebst Olivia, sie ist deine Ehefrau.
Er sah, wie Jennifer in ein Parkhaus abbog.
Schwer atmend, mit zusammengebissenen Zähnen und schmerzendem Bein, rannte er
schneller und schneller. Innerhalb von Sekunden erreichte er den Eingang des
Parkhauses, dessen Leuchtstofflampen ein schwaches Licht verbreiteten.
Niemand auf dieser Ebene. Er blieb stehen und horchte.
Das Geräusch seines hämmernden Herzens wurde übertönt von Füßen, die in wilder
Hast auf Betonstufen klatschten. Er entdeckte die Treppe und nahm erneut die
Verfolgung auf. Sein Knie protestierte, als er nach oben rannte. Über ihm auf
der Wendeltreppe sah er flüchtig ihr mahagonifarbenes Haar. Als hätte sie
seinen Blick gespürt, drehte sie sich um und sah zu ihm hinunter, warf ihm ein
boshaftes Lächeln übers Geländer zu und verschwand Richtung Parkdeck.
Verdammt. War
sie auf Ebene drei? Ebene vier? Er umfasste das Geländer und zog sich nach
oben, weiter und weiter, mit rasendem Herzen, brennenden Lungen und
schweißnasser Haut. Gib
nicht auf. Lass sie nicht entkommen. Das ist deine Chance!
Auf der dritten Ebene rannte er auf den düsteren
Parkplatz, doch es war niemand zu sehen. Nur ein paar verlassene Autos standen
dort, deren Lackierungen im Licht der trüben Lampen glänzten.
Er lief noch eine Treppe höher, darum bemüht,
etwas anderes als seinen hämmernden Puls zu hören. Auf der vierten Ebene
meinte er, sie kurz auf der gegenüberliegenden Seite zu sehen, und tatsächlich
hörte er ihre eiligen Schritte. Er folgte dem Geräusch, umrundete eine Säule,
und dann sah er sie, etwa fünfzehn Meter entfernt, wie sie auf den ferngesteuerten
Türöffner drückte.
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