Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
die Klingelzeichen mitzählte.
Beim achten Klingeln meldete sich eine männliche Stimme: »Ja?«
»Wer sind Sie?«, fragte Bentz. »Paul. Und wer
sind Sie?« Ungehalten.
»Ich erwidere einen Anruf.«
»Wovon zum Teufel reden Sie?«
»Jemand hat mich von diesem Telefon aus
angerufen.«
»Was für eine Überraschung«, sagte der Kerl mit
einem leichten Lallen. »Das ist ein öffentlicher Fernsprecher.« Ein
öffentlicher Fernsprecher? Im ganzen Land gibt es vermutlich nur noch eine
Handvoll von diesen Urviechern, und exakt von so einem kriegst du einen Anruf.
»Wo?«
»Was?«, fragte Paul.
»Das Telefon, von dem aus Sie gerade
telefonieren. Wo befindet es sich?«
»Keine Ahnung ... ähm ... in L.A. Was glauben
Sie denn? Hier auf dem Wilshire Boulevard. Ja ... da ist eine Bank. California
Irgendwas, glaub ich.«
»Wie heißt die nächste Querstraße?«
»Woher zum Teufel soll ich das denn wissen?
Sechste oder Siebte Straße, glaube ich ... he, ich muss mal telefonieren,
okay?«
Bentz wollte nicht, dass der Typ auflegte. Noch
nicht. »Nur eine Sekunde noch. Haben Sie eine Frau gesehen, die von diesem
Fernsprecher aus telefoniert hat, vor etwa zwanzig Minuten?«
»Was soll das?« Paul war langsam genervt. »Ich
dachte, Sie hätten vielleicht gewartet, dass das Telefon frei wird, und
jemanden beobachtet. Eine Frau.«
»Scheiße, Kumpel, ich habe nein gesagt! Ach,
verdammt!« Er unterbrach die Verbindung.
Bentz legte ebenfalls auf, suchte seine
Schlüssel und schlüpfte in die Schuhe. Er wusste nicht, was es bringen sollte,
mitten in der Nacht durch L.A. zu fahren, aber er war sich sicher, dass er
sowieso nicht so bald würde einschlafen können. Rebecca drückte gerade ihre
Zigarette in einem großen Aschenbecher vor dem Eingang aus. In der Nachtluft
hing ein schwacher Geruch nach Rauch. Sie sah ihm nach, als er in seinen Ford
stieg und vom Parkplatz lenkte. Da er sich in der Gegend auskannte, fuhr er zum
Wilshire und gondelte langsam den breiten, fast leeren Boulevard hinunter. Ein
Streifenwagen zog blinkend und mit heulender Sirene an ihm vorbei. Die
gewaltigen Gebäude aus Stahl und Glas streckten sich in den Nachthimmel. Bentz
hielt die Augen auf die Ladenfronten gerichtet und suchte die Gehsteige und
Plätze um die Sechste und Siebte Straße nach einem öffentlichen Fernsprecher
ab. Er war sich nicht sicher, was er erwartete, ganz bestimmt aber würde er
nicht auf die Frau treffen, die ihn angerufen hatte. Sein Bauch sagte ihm, dass
sie längst fort war, doch nach wie vor verspürte er das Bedürfnis, den
Fernsprecher mit eigenen Augen zu sehen.
Beim ersten Mal fuhr er daran vorbei, ohne ihn
zu entdecken, dann sah er die California Palisades Bank, fuhr über deren
leeren Parkplatz ... und da war er. Seine Reifen quietschten leise, als er
darauf zupreschte: drei schmutzige, Graffiti-beschmierte Plexiglasscheiben vor
einem koreanischen Supermarkt.
Es waren nur wenige Leute unterwegs. Bentz
stellte den Wagen ab und ging um den Fernsprecher herum. An einer
Bushaltestelle stand wartend ein Stadtbus. Wer war sie?
Warum hatte sie ihn angerufen? Zu welchem Zweck?
Damit er ihr hierher folgte? Er blickte sich um. Merkwürdig. Es brachte doch
nichts, ihn zwischen diese Geschäftsgebäude zu locken, die wie schlafende
Riesen in der Nacht hockten, die Sicherheitsbeleuchtung gespenstische Lichtstrahlen
hinter dem getönten Glas. Auf der Straße fuhren kaum Autos. Die Ampeln
strahlten grün und rot auf dem breiten Boulevard, die großen Straßenlaternen
mit ihrem Neonlicht verbreiteten eine Atmosphäre der Einsamkeit. Er bemerkte
nichts Außergewöhnliches. Jemand spielte ernsthaft mit seinem Verstand. Wer zum
Teufel tat ihm das an? Und, was noch wichtiger war, warum?
8
»Ich frage mich bloß, warum du es mir nicht gesagt
hast«, schäumte Kristi am anderen Ende der drahtlosen Verbindung.
»Weißt du, wie viel Uhr es ist?«
»Ja. Acht Uhr morgens.«
»Bei dir. Hier ist es nicht mal sechs«, knurrte
Bentz mit einem Blick auf die Digitaluhr und rollte sich auf der durchgelegenen
Matratze auf die Seite. Er hatte kaum geschlafen, seit er nach seiner
nächtlichen Fahrt über den Wilshire Boulevard ins Bett gefallen war, ungefähr
gegen zwei Uhr morgens. »Zwei Stunden Zeitunterschied, erinnerst du dich?«
Sein Rücken schmerzte.
»Tut mir leid.« Sie klang nicht gerade so, als
täte es ihr tatsächlich leid. »Komm schon, Dad, was soll das alles? Ich habe
Olivia gefragt, und sie hat ziemlich geheimnisvoll
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