Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
Wand
geschraubt. Von einer abgenutzten Kommode starrte ihn ein Fernseher aus den
Achtzigern an. Das dazugehörige Badezimmer war winzig, kaum groß genug, als
dass er sich darin umdrehen konnte. Die Handtücher waren dünn, aber alles sah
durchaus sauber aus. Vielleicht nicht nach Olivias Maßstab, aber für ihn
reichte es. Er öffnete gerade den Reißverschluss seiner Reisetasche, als sein
Handy klingelte und Olivias Nummer auf dem Display aufblinkte.
»Hi«, meldete er sich. »Ich hab mir schon Sorgen
gemacht.«
»Tatsächlich?« Sie klang fröhlich, wie er
erleichtert feststellte. In den vergangenen Tagen hatte sie versucht, ihn zu
unterstützen, hatte sogar mit ihm gescherzt, doch er wusste, dass sie besorgt,
vielleicht sogar bekümmert wegen seiner bevorstehenden Unternehmung war. Zweimal
hatte er ihr angeboten, die Reise abzusagen, und beide Male hatte sie darauf
bestanden, dass er sie antrat. »Du musst tun, was du tun musst, und wenn es
vorbei ist, kommst du wieder nach Hause, okay?« Olivia war nicht der Typ Frau,
der herumsaß und auf einen Mann wartete, doch diesmal tat sie genau das, auch
wenn sie damit gegen all ihre natürlichen Instinkte verstieß. Er wusste ihr
Opfer zu schätzen und hatte ihr versprochen, die Dinge zu einem Ende zu bringen
und so bald wie möglich zurückzukehren.
»Am besten, du arbeitest rund um die Uhr«, sagte
sie streng.
»Ich bin doch erst seit ein paar Stunden hier.«
»Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit«, flüsterte
sie. Einen Augenblick lang wäre er beinahe darauf reingefallen, doch dann hörte
er sie kichern. »Tut mir leid, ich konnte nicht anders.«
Er verkniff sich ein Lächeln. Immerhin machte
sie Spaße und veräppelte ihn. »Also, was hast du herausgefunden?«
»Bis jetzt noch nichts.« Sie sprachen ein paar
Minuten miteinander, und sie erzählte ihm, dass sie sich mit Lydia Kane, einer
Freundin von der Hochschule, zum Abendessen getroffen hatte. Er gab ihr den
Namen und die Telefonnummer von seinem Motel und versprach, sie am nächsten
Tag anzurufen.
»Sei vorsichtig«, sagte sie. »Um ehrlich zu sein
- ich weiß nicht, was ich dir wünschen soll. Dass du herausfindest, dass
Jennifer tot ist und dir jemand ganz schön übel mitspielt, oder ... dass sie
tatsächlich noch am Leben ist.«
»Beides wird ganz schön vertrackt sein.«
»Ich weiß. Im Ernst, Bentz. Geh nicht zu viele
Risiken ein. Wir brauchen dich.«
»Wir?«
Sie zögerte nur eine Sekunde. »Ja, wir alle.
Kristi und ich ... nun, und Harry S. und Chia.«
»Ich werde bald wieder zu Hause sein«, versprach
er, aber sie wussten beide, dass er sie nur beschwichtigte. Er hatte keine Ahnung,
wann er nach New Orleans zurückkehren würde.
»Lass mich wissen, wie viele Gespenster du
schnappst.«
»Spaßvogel.«
»Manchmal«, erwiderte sie. »Meistens. Ich rufe
dich an.«
Er legte auf und dachte daran, den nächsten
Flieger nach Osten zu nehmen. Warum nicht? Sie hatte recht. Er jagte noch immer
einem Geist hinterher, und er tappte entweder in eine Falle oder verlor den
Verstand. Er wettete auf Ersteres. Und wusste, dass er das durchstehen würde.
Durchstehen musste.
7
Bentz' Abendessen bestand aus abgepacktem
Cheddar, Crackers und einer Cola light, die er aus dem Automaten im Durchgang
zum Pool zog.
Er kehrte in sein Zimmer zurück, riss mit den
Zähnen das Zellophanpapier auf und machte sich gleichzeitig an die Arbeit. Er
hatte bereits eine Liste der Personen erstellt, die Jennifer am nächsten
gestanden hatten. Während er die fettigen Crackers mit Schmelzkäse kaute,
überlegte er, wie er sie am besten ausfindig machen konnte. Er vermutete, dass
Jennifers Freundinnen noch in der Gegend wohnten, so dass er sich mit ihnen
treffen konnte. Vorausgesetzt, sie waren bereit, mit ihm zu sprechen. Ohne
Zweifel war er für sie eine Persona non grata. Andere Freundinnen, die
weggezogen waren, würde er aufspüren müssen und versuchen, sie telefonisch zu
erreichen. Und was willst du ihnen sagen? Dass du glaubst, Jennifer gesehen zu
haben, obwohl du sie vor zwölf Jahren beerdigt hast?
Darauf wusste er keine Antwort. Er stellte
seinen Laptop mit PC-Karte auf den zerschrammten Formica-Tisch, öffnete die
Blendläden, damit er auf den Parkplatz blicken konnte, und ließ sich auf dem
Stuhl mit der geraden Rückenlehne nieder.
Er fuhr soeben mit einem Cracker durch einen der
kleinen Plastikbehälter mit Käse, als er einen blauen Pontiac aus den späten
Sechzigern bemerkte, der in eine der
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