Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
stand die Sonne
bereits hoch am Himmel und wurde vom Asphalt reflektiert. Sein Auto war warm,
der Innenraum zog die Hitze schneller an als ein Sonnenkollektor in der Sahara.
Er rollte vom Parkplatz und fuhr Richtung Santa Monica und Colorado Avenue, die
er auf dem Foto mit Jennifer im Coffeeshop erkannt zu haben glaubte.
Seine gestrige Internetsuche hatte drei
Coffeeshops auf einer Länge von zwölf Blocks ergeben.
Innerhalb von zwanzig Minuten hatte er es
entdeckt: ein Cafe an einer Ecke, das Local Buzz, das aussah wie auf dem Foto.
Zwei Zeitungskästen standen vor dem Eingang, hohe Tische säumten das Fenster.
Das war zu leicht, dachte er. Wer immer das Bild
aufgenommen hatte, hatte ihn ohne große Raffinesse hierhergelockt.
Er parkte in einer Seitenstraße und ging in den
Coffeeshop, wo ihn der aufdringliche Geruch nach gerösteten Kaffeebohnen
empfing. Jazzmusik wetteiferte mit dem Zischen der Dampfventile und den
gedämpften Gesprächen der Gäste. Das Local Buzz war gut besucht, und mehrere
Gäste saßen vor ihren geöffneten Laptops und nutzten den kabellosen
Internetzugang. Bentz bestellte einen schwarzen Kaffee und wartete, während
sich eine Gruppe von Kunden nach vorn drängte und Latte und Mokka, Latte
macchiato, Karamell-Macchiato mit Sojamilch, einfach alles bis hin zu normalem
Kaffee bestellte. Als sich die Menge aufgelöst hatte, wandte er sich erneut an
die Baristas und zeigte ihnen diesmal seine Fotos von Jennifer.
Keiner der Angestellten meinte, sie jemals
gesehen zu haben, ganz sicher nicht. Die große junge Frau in ausgelatschten
Wildlederstiefeln und Shorts, die gerade die Düse für die heiße Milch reinigte,
warf kaum einen Blick darauf und schüttelte den Kopf. Ihre Kollegin, eine
kleinere, rundliche Frau um die fünfzig dagegen betrachtete die Schnappschüsse
nachdenklich. Ihre Augenbrauen zogen sich über ihrer randlosen Brille zusammen.
»Sie könnte natürlich da gewesen sein, als jemand anderes gearbeitet hat, aber
sie kommt nicht regelmäßig rein. Zumindest nicht während der Morgenschicht,
denn dann würde ich sie kennen.« Sie erklärte ihm, dass sie morgens zu sechst
oder zu siebt arbeiteten, so dass möglicherweise jemand anderes die Frau auf
dem Foto bedient hatte.
Er blickte zu dem Tisch hinüber, an dem
»Jennifer« auf dem Foto gesessen hatte, trat ans Fenster und sah hinaus. Auf
der linken Seite endeten die Straßen nach etwa zwölf Blocks am Pazifik.
Jennifer und er hatten so manchen faulen Nachmittag dort verbracht, waren über
den Santa-Monica-Pier geschlendert und über den Weg, der am Strand entlangführte.
Vor langer Zeit hatte er geglaubt, dass Santa Monica ihr ganz besonderer Ort
war. An einer Stelle in der Nähe der Mole hatten Jennifer und er sich zum
ersten Mal im Sand geliebt.
Er nippte an seinem Kaffee und versuchte sich
vorzustellen, was Jennifer - nein, die Frau, die vorgab, Jennifer zu sein - hier
gemacht hatte, warum sie ihn an diesen Ort geführt hatte. Was, verdammt noch
mal, sollte das? Er blickte ein paar Minuten - vielleicht länger - aus dem
Fenster, dann ging er mit seinem zu heißen Kaffee und dem Gefühl, dass er
manipuliert wurde, nach draußen.
Shana hatte den Pool der Länge nach durchtaucht
und durchbrach nun die Wasseroberfläche. Sie holte tief Luft, dann schüttelte
sie sich das nasse Haar aus den Augen. Vierzig Bahnen. Sie gratulierte sich
soeben selbst zu ihrer guten Form, als sie die Türklingel hörte.
Sie war nicht die Einzige: Beim ersten der
wohlklingenden Töne begann Dirk, der verfluchte
Schäferhund-Rottweiler-Mischling ihres Mannes, wie wild zu bellen. Er hatte am
Rand des Swimmingpools gelegen und war mit einem Satz auf den Füßen. Seine
Nackenhaare sträubten sich. Großartig.
Genau das, was sie brauchte - einen
Überraschungsbesuch von einem Fremden. Sie zog sich auf die Fliesen nahe dem
Wasserfall hoch und richtete sich auf. Sie war nackt. Die Haushälterin hatte ihren
freien Tag, der Gärtner war bereits fort, und sie hatte die Zeit genutzt, um
ein Sonnenbad zu nehmen und eine streifenfreie Bräune zu bekommen. Nachdem sie
eine Weile lang auf dem Rücken auf ihrem Lieblingsliegestuhl gelegen hatte,
hatte sie ihre Bahnen gezogen. Wäre sie nicht unterbrochen worden, hätte sie
sich jetzt auf den Bauch gedreht und ihre Rückseite geröstet.
»Später«, versprach sie sich selbst, griff nach
ihrem weißen Bademantel, fuhr in die Ärmel und knotete den Gürtel um ihre
schmale Taille.
Wieder läutete es, und erneut
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