Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
Pullover hingen an ihr herab. »Und du erwartest wirklich,
ich würde dir abkaufen, dass du nach zwölf Jahren einfach so zu einem Schwätzchen
vorbeischaust? Verschon mich! Wo ist denn bloß der Besen?« Sie ging zu einem
kleinen Schrank in einer Nische und kehrte mit Handfeger und Kehrblech zurück.
»Du willst reden?«, brummte sie missmutig und begann, die Scherben
zusammenzufegen. »Worüber?«
»Über Jennifer.«
»Großer Gott, warum?« Sie stand abrupt auf und
starrte Bentz an, als wäre er soeben vom Jupiter herbeigeflogen. »Wozu soll das
denn gut sein? Die arme Frau.« Unten betrat eine Kundin die Galerie. Bentz sah
sie durch das offene Geländer. Eine Frau mit silbergrauem Haar, einer roten
Lesebrille auf der Nasenspitze und einem mürrischen Gesicht. Sie trug eine
weiße Caprihose und ein ärmelloses Oberteil und spazierte an den
Ausstellungsstücken vorbei, um dann nachdenklich bei einer Glasmosaik-Katze
stehenzubleiben, die Bentz für das hässlichste Pseudokunstwerk hielt, das er je
gesehen hatte. Allmächtiger, meinte sie das etwa ernst? Das Stück war nichts
als Müll und kostete vermutlich so viel, wie Bentz in einer Woche verdiente.
Fortuna beugte sich über die Brüstung und rief
fröhlich: »Hallo, Mrs. Fielding! Ich bin gleich unten.« Sie lehnte Handfeger
und Kehrblech gegen die Leiter und blickte Bentz an. »Ich habe dir wirklich
nichts zu sagen.«
»Ich werde warten.«
Sie verdrehte die Augen und eilte schnellen
Schrittes die Treppe hinunter. Im Erdgeschoss machte sie sich daran, Mrs.
Fielding mehrere Stücke aus farbigem Glas zu zeigen, die afrikanische Wildtiere
darstellten. Hässliche Löwen, Gazellen und Elefanten - zumindest seiner Ansicht
nach. Wer wusste schon, was der Künstler wirklich im Sinn gehabt hatte?
Bentz beseitigte das Durcheinander und brachte
Besen und Kehrblech in den kleinen Schrank in der Nische zurück, wo er sogar
eine neue Glühbirne fand. Er hatte sie gerade eingedreht, so dass das
schwarz-rote Chaosgemälde in voller Pracht erstrahlte, als Fortuna die Treppe
heraufkam.
»Glaub ja nicht, dass du dich bei mir beliebt
machst, nur weil du Hausmeister spielst«, sagte sie. »Keine Ursache.«
»Ich hätte das auch selbst erledigen können.«
Sie entdeckte einen Glassplitter, den er übersehen hatte, und hob ihn auf, dann
verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Also, was zum Teufel willst du
wissen?«
»In welchem psychischen Zustand sich Jennifer
vor ihrem Tod befand.«
»Machst du Witze? Das weiß ich nicht.«
»Du warst eine ihrer besten Freundinnen.«
»Was für eine Rolle spielt das jetzt noch?«
»Jemand hat mich angerufen und sich als Jennifer
ausgegeben.«
»Na und? Da hat sich jemand einen kleinen Scherz
auf deine Kosten erlaubt.«
Er holte die Abzüge von den Fotos heraus und
ließ Fortuna einen Blick darauf werfen. »Die hat man mir zugeschickt.«
»Und? Die Frau sieht aus wie Jennifer, ja. Und
wenn schon. O Gott, du denkst doch nicht... Ich meine, du würdest doch nicht
glauben ... Oh, nein, ich meine, das ist doch absurd.« Sie lachte, doch ihre
Heiterkeit klang gestellt. »Du glaubst also wirklich, Jennifer könnte noch am
Leben sein?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Wer um alles in der Welt liegt dann in ihrem
Grab?« Sie schüttelte den Kopf. »Da bist du jemandem ganz schön auf den Leim
gegangen. Und weißt du, wem das gefallen hätte? Jennifer. Endlich kriegst du
dein Fett ab.« Und zwar heftiger, als du denkst, dachte er, aber er sprach es
nicht aus. »Ich hoffte nur, du würdest dich vielleicht an etwas erinnern, das
sie kurz vor ihrem Tod getan oder gesagt hat, etwas, das untypisch für sie
war.«
»Ich erinnere mich an nichts Besonderes.«
Fortuna seufzte. Fuhr sich mit rotlackierten Fingernägeln durch ihr volles
Haar. »Sie hat das gemacht, was sie immer getan hat, du weißt schon. War beim
Frisör. Ich war auch da. Und sie hatte einen Einkaufsbummel gemacht und ihrer
Astrologin einen Besuch abgestattet.«
Er fühlte, wie sich die Muskeln zwischen seinen
Schulterblättern anspannten. »Astrologin?«
»O ja ... Phyllis Soundso.« Fortuna blickte ihn
verwundert an. »Du hast das nicht gewusst?«
»Dass meine Ex-Frau zu einer Hellseherin
gegangen ist? Nein.«
»Ich sagte Astrologin. Das ist ein feiner
Unterschied.« Damit kannte er sich aus. Olivias Großmutter hatte zu Lebzeiten
Tarotkarten gelegt. »Schon gut, Phyllis die Astrologin. Die die Sternzeichen
deutet. Den Mondzyklus und all den Kram.«
»Ich denke, die
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