Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail
geschickt wurde. Ich muss wissen, ob es sich um etwas Gutes oder etwas sehr Schlechtes für meine Art handelt.«
Ich nickte. »In Ordnung.«
»Aber ich hätte es auch um unserer Freundschaft willen getan«, fügte er hinzu.
Unerwartet stieß Samuel ein kleines bitteres Lachen aus. »Selbstverständlich. Wir alle tun für Mercy Dinge aus Freundschaft.«
Stefan ging nicht durch das Tor, das groß genug für einen LKW war, sondern führte uns an der Seite der Mauer entlang bis zu einer kleinen, offenen Tür.
Im Kontrast zu dem Buschland vor den Toren waren die Grünflächen im Inneren kunstvoll angelegt. Selbst im November wuchs das Gras unter dem schwindenden Licht des Mondes dunkel und üppig. In geschützten Bereichen nahe dem Haus konnte ich ein paar Rosen entdecken, und die letzten Chrysanthemen hatten immer noch Blüten. Es war ein Garten im französischen Stil, mit sorgfältig gepflegten Rasenflächen und Beeten. Wäre das Haus tatsächlich im viktorianischen oder im Tudor-Stil erbaut gewesen, hätte der Garten hinreißend ausgesehen. Neben einer spanischen Hazienda wirkte er ein wenig seltsam.
Kahle Ranken zogen sich über die Mauern. Im Mondlicht sahen sie aus wie eine Reihe von Leichen, die mit weit ausgebreiteten Armen gekreuzigt an den Spalieren hingen, die sie stützten.
Ich schauderte und bewegte mich näher zu der Wärme, die Samuel verströmte. Er bedachte mich mit einem seltsamen Blick, weil er mein Unbehagen zweifellos roch, aber dann legte er die Hand auf meine Schulter und zog mich näher zu sich.
Wir folgten einem Kopfsteinpfad vorbei an einem Pool, der für den Winter abgedeckt war, und um die Hausecke herum zu einer breiten Rasenfläche. Auf der anderen Seite stand ein zweistöckiges Gästehaus von beinahe einem Drittel der Größe des Haupthauses. Es war dieses kleinere Gebäude, zu dem Stefan uns führte.
Er klopfte zweimal an die Haustür, dann öffnete er und winkte uns in eine Eingangshalle, die ziemlich aggressiv im Stil des amerikanischen Südwestens eingerichtet war, Tontöpfe und Kachina-Puppen eingeschlossen. Überall überdeckte der Duft nach seltsamen Blüten und Kräutern selbst die Gerüche der Wüste.
Ich nieste, und Samuel zog die Nase kraus. Vielleicht war dieses Potpourri ja dazu gedacht, unseren Geruchssinn zu verwirren – aber es schien nicht gefährlich zu sein. Es gefiel mir nicht, hielt mich aber auch nicht davon ab, verfallendes Leder und verrottenden Stoff zu riechen. Rasch sah ich mich unauffällig um, aber ich konnte nichts sehen, was für die Fäulnis verantwortlich gewesen wäre.Auf den ersten Blick sah das Mobiliar neu aus.
»Wir werden im Wohnzimmer auf sie warten«, sagte Stefan und führte uns aus der Halle mit der hohen Decke in einen Flur.
Der Raum, in den er uns brachte, war anderthalbmal so groß wie das größte Zimmer in meinem eigenen Haus, wirkte aber durchaus gemütlich. Wir hatten das Südwest-Thema offenbar zum größten Teil hinter uns gelassen, obwohl die Farben auch weiterhin warme Erdtöne blieben.
Die Polstermöbel machten einen bequemen Eindruck, wenn man weiche Polster mochte. Stefan ließ sich in entspannter Haltung auf einem Sessel nieder, der ihn beinahe verschluckte. Ich hockte mich auf den vorderen Rand eines Zweisitzer-Sofas, das geringfügig härter wirkte, aber das Polster würde mich immer noch aufhalten, falls ich mich schnell bewegen musste.
Samuel setzte sich auf einen Sessel wie den von Stefan, stand aber schnell wieder auf, als er einzusinken begann. Dann stellte er sich hinter mein kleines Sofa und schaute aus dem großen Fenster, das den Raum dominierte. Es war das erste Fenster, das ich in dem Haus sah.
Mondlicht fiel herein und beschien Samuels Gesicht. Er schloss die Augen und erfreute sich daran, denn er wusste, dass es ihn rief, obwohl der Mond nicht voll war. Ich werde vom Mondlicht nicht auf diese Weise angesprochen, aber Samuel hatte mir einmal mit den Worten eines Dichters erklärt, wie dieser Ruf auf ihn wirkte. Die hingerissene Miene, während er der Musik des Mondes lauschte, verschönerte sein Gesicht ungemein.
Und ich war nicht die Einzige, die das bemerkte.
»Oh, sieh doch, wie schön du bist!«, sagte eine kehlige, ein wenig europäisch wirkende Stimme, die einer Frau in einem tief ausgeschnittenen Kleid aus goldener Seide gehörte, das zusammen mit Laufschuhen und wadenhohen Sportsocken eher seltsam wirkte.
Ihre rötlichblonden Locken waren mit eleganter Nachlässigkeit
und jeder Menge
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