Mercy Thompson 02 - Bann des Blutes-retail
Marsilias hungrigem Blick vorzog. Ich musste mich dem Drang widersetzen, einen Schritt vorzutreten und den Blick der Vampirherrin auf Warren zu blockieren.
Wenn ich nicht um Stefans willen hier gewesen wäre, hätte ich ein paar Stühle für uns geholt oder mich einfach auf den Boden gesetzt, aber ich wollte niemanden gegen uns aufbringen, bevor Stefan in Sicherheit war. Also blieb ich stehen, wo ich war, und wartete auf ihn.
Die Minuten krochen nur langsam voran. Ich kann nicht besonders gut warten und musste mich anstrengen, nicht unruhig zu werden. Ich hätte angenommen, Ben würde es noch schlimmer gehen, aber weder er noch Warren schienen ein Problem damit zu haben, reglos dazustehen, nicht einmal unter Marsilias stetigem Blick.
Die Wölfe waren jedoch nicht so reglos wie die Vampire. Kein Vampir ließ sich zu einer der kleinen Bewegungen herab, die Stefan sich angewöhnt hatte, um die Menschen in seiner Umgebung nicht zu beunruhigen, wie zu blinzeln oder zu atmen.
Sie reagierten jedoch einer nach dem anderen, als sei Andres Aufbruch eine Art Zeichen gewesen, und richteten mit ausdruckslosen Mienen ihre Blicke auf mich. Die einzigen
Ausnahmen waren Marsilia und der Vampir rechts von ihr, der aussah wie ein Junge von etwa fünfzehn Jahren – also sah ich diese beiden an.
Marsilia beobachtete weiterhin Warren und bewegte hin und wieder ihre schlanken Finger mit den kunstvoll lackierten Nägeln. Der Junge starrte einfach ins Leere und schwankte ein wenig. Ich fragte mich, ob er einen geistigen Schaden hatte, wie die musikalische Lilly. Dann wurde mir klar, dass er im Rhythmus meines Herzschlags schwankte, und ich machte einen kleinen Schritt näher zu Warren. Der Junge wiegte sich ein wenig schneller.
Als ich hörte, wie sich im Flur hinter uns etwas bewegte, wurde sein Schwanken ziemlich hektisch. Nichts beschleunigte den Herzschlag so sicher, wie die Beute in einem Raum voller Vampire zu sein.
Ich hörte Stefan und seine Begleiter schon, bevor sie hereinkamen.
Estelle drängte sich als Erste an uns vorbei und setzte sich wieder hin. Andre ließ sich auf der Couch neben dem alten Holzstuhl nieder. Ich brauchte den Kopf nicht zu drehen, um zu wissen, dass Stefan ein paar Fuß hinter mir stehen geblieben war – ich konnte ihn riechen. Ich drehte mich trotzdem um.
Er trug immer noch die Kleidung, die er angehabt hatte, als ich ihn das letzte Mal sah, aber er schien unverletzt zu sein. Er hielt einen jungen Mann auf den Armen, der nur sein junger Freund Daniel sein konnte, Littletons erstes Opfer.
Jeans und ein T-Shirt mit einem Werbeslogan für Milch wirkten an einem, der aussah, als wäre er gerade aus einem Todeslager der Nazis befreit worden, ein wenig unpassend. Man hatte ihm den Kopf rasiert, und dunkle Stoppeln ließen die blasse Haut bläulich aussehen. Ich fragte mich, ob Vampiren die Haare wohl nachwuchsen.
Daniels Wangen waren so eingefallen, dass man beinahe die Zähne durch sie hindurch erkennen konnte. Seine Augen wirkten blicklos, mit beinahe rein weißer Iris und nahezu keinen Pupillen. Es war schwer festzustellen, in welchem Alter er gestorben war, aber er konnte nicht älter als zwanzig gewesen sein.
Der Mann in der gestreiften Weste, Bernard, stand auf – und nun hörte Marsilia endlich auf, Warren anzustarren, und wandte ihre Aufmerksamkeit den Neuankömmlingen zu.
Bernard räusperte sich und verkündete in bemüht sachlichem Tonfall: »Wir sind hier, weil Stefan uns heute Morgen angerufen hat, damit wir sein Durcheinander in einem Motel in Pasco aufräumen. Fünf Menschen sind tot, und es gab beträchtliche Schäden an dem Gebäude. Wir waren gezwungen, Elizaveta Arkadyevna zu rufen.« Ich hatte nicht gewusst, dass Elizaveta auch für die Siedhe arbeitete und nicht nur für Adams Rudel, aber wahrscheinlich war das nur vernünftig. Die alte russische Hexe war die mächtigste ihrer Zunft im ganzen pazifischen Nordwesten. »Uns war sofort klar, dass die Polizei auf jeden Fall informiert würde. Laut unserer Kontaktpersonen vor Ort haben die lokalen Behörden die Geschichte, die wir ihnen erzählt haben, akzeptiert, und es wird keine weiteren Ermittlungen geben. Wenn man einmal von den finanziellen Kosten für die Hexe absieht, ist der Siedhe kein dauerhafter Schaden zugefügt worden.« Er sprach diesen letzten Teil in knappen Silben aus, so als sei er mit der Aussage selbst nicht einverstanden.
»Stefan«, sagte Marsilia. »Du hast die Siedhe in Gefahr gebracht. Was hast du dazu zu
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