Mercy Thompson 04 - Zeit der Jäger-retail-ok
Geister sehen konnte. Ich schnappte nach Luft – sie hatte auch gewusst, dass ich bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr bei einer Pflegefamilie in Montana aufgewachsen war. Das war nichts, was ich verheimlicht hatte – nur die Tatsache, dass meine Pflegefamilie Werwölfe waren. Bis auf dieses eine Mal, als ich betrunken gewesen war.
Aber unter den Werwölfen war das Wissen über den Walker, den Kojoten-Gestaltwandler, der von Bran aufgezogen worden war, durchaus verbreitet. Also sagen wir, dass Blackwood nicht von mir wusste, bis zu den Zeitungsartikeln. Sagen wir, Amber hatte in die Zeitung geschaut und gesagt: »Himmel – ich kenne sie. Ich frage mich, ob sie uns nicht bei unserem Geist helfen könnte. Sie sagte, sie könne Geister sehen.«
Blackwood sagte zu sich selbst: »Hmmm. Ein Mädchen, deren Freund der Alpha der Tri-Cities ist. Ein Mädchen mit einer Neigung zu Geistern.« Und nachdem er viel älter war als ich, wusste er vielleicht mehr über Walker als ich. Also zählte er eins und eins zusammen, und: »Hey, ich frage mich, ob sie nicht vielleicht der Walker ist, der vor
ein paar Jahren bei Bran aufgewachsen ist.« Also fragte er Amber, ob ich aus Montana kam. Und sie erzählt ihm, dass ich dort bei einer Pflegefamilie aufgewachsen bin.
Vielleicht wollte er etwas von einem Walker. In diesem Moment stieg in mir die unangenehme Erinnerung daran auf, wie Stefan mir vom Meister von Mailand erzählt hatte, der süchtig war nach dem Blut von Werwölfen. Aber Stefan hatte von mir Blut genommen und schien davon nicht besonders beeindruckt gewesen zu sein. Aber egal, angenommen, Blackwood wollte einen Walker und hatte deswegen Amber ausgeschickt, um mich zu finden und mich davon zu überzeugen, nach Spokane zu kommen.
Mir gefiel diese Möglichkeit nicht so gut wie die LIEB-Theorie. Aber das kam wohl überwiegend daher, dass es bedeutete, dass er die Jagd nicht aufgeben würde, nur weil ich aus seinem Auto entkam. Es hieß, dass er immer weitermachen würde, bis er bekam, was er wollte – oder getötet wurde.
Und es passte zu dem, was ich wusste. Walker sind selten. Wenn es noch andere Walker geben sollte, habe ich nie einen getroffen. Wenn er also herausgefunden hatte, was ich war, und einen wollte, dann wäre es logisch, dass er kam, um mich zu holen. Die Frage, die noch übrig blieb, war: Was wollte er mit einem Walker?
Das Kribbeln in meinen Armen und Beinen ließ nach und hinterließ nur einen dumpfen Schmerz. Es war Zeit, zu entkommen … und dann fiel mir wieder ein, was Corban gesagt hatte: »Er hat Chad.«
Corban hatte mich gekidnappt, weil Blackwood Chad hatte. Ich fragte mich, was Blackwood wohl tun würde, wenn Corban zurückkam und ich ihm entwischt war.
Vielleicht würde er ihn einfach nur wieder losschicken. Aber ich erinnerte mich an Marsilias Gleichgültigkeit, als sie befohlen hatte, Estelles Mann zu töten … als sie alle von Stefans Leuten getötet hatte. Sie war verletzt gewesen, dass er immer noch wütend auf sie war, nachdem er verstanden hatte, was sie getan hatte. Vielleicht konnte sie Stefans Bindung an seine Leute nicht verstehen … weil Menschen nur Nahrung waren.
Vielleicht würde Blackwood Chad einfach töten.
Dieses Risiko konnte ich nicht eingehen.
Plötzlich breitete sich echte Panik in meinen Eingeweiden aus, weil ich wirklich gefangen war. Ich konnte nicht entkommen, nicht wenn das hieß, dass Chad vielleicht sterben würde.
Mit trockenem Mund versuchte ich, meine Vorteile aufzulisten. Da war natürlich der Stab des Feenvolkes. Er war im Moment nicht hier, aber irgendwann würde er auftauchen. Vom Feenvolk wurde er als mächtiges Artefakt betrachtet – wenn Vampire nur Angst vor Schafen hätten.
Ich konnte weder das Rudel noch Adam finden. Samuel hatte gesagt, dass die Verbindung sich irgendwann wieder herstellen würde. Er hatte mir keinen Zeitrahmen genannt – und ich war nicht gerade scharf darauf gewesen, die Erfahrung zu wiederholen, also hatte ich auch nicht gefragt. Adam hatte gesagt, dass Entfernung die Verbindung schwächer werden ließ.
Ich erinnerte mich daran, dass Samuel einmal bis nach Texas geflohen war, um seinem Vater zu entkommen … und es hatte funktioniert. Aber Spokane lag um einiges näher an den Tri-Cities als Texas an Montana. Also konnte
ich vielleicht, wenn ich Blackwood lang genug hinhielt, das Rudel rufen, um mich zu retten – wieder einmal.
Nach Einbruch der Dunkelheit – und es würde bald dunkel sein – gab es noch Stefan.
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