Meridian - Flüsternde Seelen
weiße, gerade Zähne zum Vorschein. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er so gerade Zähne gehabt hatte.
»Wo warst du?«, erkundigte ich mich.
»Überall auf der Welt. Paris würde dir gefallen. Du hast meine Postkarten doch gekriegt, oder?«
Alle drei. »Ja.« Ich nickte.
Offenbar legte ich nicht genug Begeisterung an den Tag, denn Kirian stellte seine Tasse weg. »Ich musste Geld für uns verdienen, oder nicht?«
»Bist du adoptiert worden?«, fragte ich.
»Nein, ich bin zu …« Er hielt inne. »Nach meinem achtzehnten Geburtstag. Und dann bin ich gereist.«
»Wo ist deine Familie?«
»Überall.«
»Wärst du geblieben?«
»Hier? Im DG ? Warum hätte ich das tun sollen?« Er schien wirklich nicht zu verstehen, wie ich auf einen solchen Gedanken kommen konnte. »Außerdem darf niemand bleiben.«
»Warum müssen wir am sechzehnten Geburtstag weg? Weshalb nicht erst mit achtzehn?«, hakte ich nach.
»Nun, es ist eine Chance, Juwel. Vertrau mir. Du wirst nie wieder eine Bettpfanne sauber machen oder einem Kind beibringen müssen, aufs Klo zu gehen.«
»Aber …«
»Warum die vielen Fragen? Ich musste auf das Angebot eingehen. Für dich. Für uns. Doch jetzt bin ich zurück, und wir können zusammen sein.«
Ich verstummte. Mit seinem Verschwinden hatte er mehr getan, als nur ein Angebot anzunehmen. Und um was für ein Angebot handelte es sich? »Warum hast du noch immer die Sonnenbrille auf?«
»Es ist hell hier.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Aber …«
»Juwel, hör auf, mir ein Loch in den Bauch zu fragen.« Sein Tonfall kränkte mich, doch er biss in ein Croissant, ohne meine Reaktion zur Kenntnis zu nehmen.
Ich verstummte, wagte dann jedoch noch einen Versuch. »Wie viel war auf deinem Sparkonto?«, erkundigte ich mich in der Hoffnung, von ihm zu erfahren, was an meinem Geburtstag mit mir geschehen würde.
»Was?«, wunderte er sich. Er runzelte die Stirn, aber ich konnte seine Augen nicht sehen.
»Das Sparkonto. Ms. Asura hat mir erzählt, wir würden bezahlt …« Ich brach ab, als mir klarwurde, dass Kirian kein Wort verstand.
»Ach, das«, sagte er, um seine offensichtliche Unkenntnis zu verbergen. »Pass auf, am besten hältst du dich ganz genau an Ms. Asuras Anweisungen. Es ist nicht schwierig, so zu sein, wie sie es wollen. Und außerdem habe ich es getan, damit wir zusammen sein können.«
»Wovon redest du? Wie zu sein? Was hast du getan?« Am liebsten hätte ich vor Ungeduld losgeschrien. Wir redeten völlig aneinander vorbei. Ich stellte Fragen, während er Fragen beantwortete, die ich gar nicht gestellt hatte.
Mini sprang maunzend hinter einem Baum hervor, kam näher, schmiegte sich an meinen Rücken und lehnte sich schließlich an meine Schienbeine.
Kirian beugte sich vor. »Wer ist denn diese Schönheit?« Er streckte die Hand aus, um sie zu streicheln.
Mini fauchte und holte mit ihren Krallen nach seinem Handrücken aus. Sofort quoll dunkles Blut aus den Kratzern.
»Mini!« Entsetzt packte ich sie und ließ dabei die leere Tasse fallen.
»Verdammter Mist! Man sollte diese Katze ersäufen.« Kirian griff nach einer Stoffserviette und drückte sie sich auf die Hand.
»So etwas hat sie noch nie getan. Ich schwöre …«
»Eine streunende Katze? Aber, Juwel, da hätte ich dir mehr Geschmack zugetraut. Wenn du ein Haustier haben möchtest, kaufe ich dir eines.«
»Sie ist …« Ich hielt inne.
Sie ist meine Freundin, liebt mich und vertreibt die Dunkelheit. Wenn du geblieben wärst, bräuchte ich keine Katze als Familienersatz.
»Kirian?«, rief Ms. Asura vom Haus her. »Wir müssen los.«
»Mist.«
Ich fing an, die Picknicksachen zusammenzupacken, und versuchte gleichzeitig, Mini von Kirian fernzuhalten.
»Lass das. Du bist kein Dienstmädchen.« Kirian nahm meine Hände und zog mich von dem Durcheinander weg. »Ich liebe dich, du hast auf mich gewartet, und jetzt können wir zusammen sein. So einfach ist das. Vertrau mir. Ich kümmere mich um alles.«
»Aber …«
»Kirian!« Ms. Asuras Stimme klang schrill und fordernd.
»Ich komme wieder. Vertraust du mir? Bald sind wir zusammen.« Er beugte sich vor, zog meine Hüften fest an seine, presste meine Brüste an seine Brust und küsste mich. Es fühlte sich an, als wären seine Zähne zu groß für seinen Mund und im Weg.
So küsst er dich immer. Er gibt nicht, sondern nimmt.
Im nächsten Moment lief er los. »Bald.«
Die Finger an den schmerzenden Lippen, spähte ich um die Hausecke
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