Meridian - Flüsternde Seelen
arbeiteten immer noch an unserer Freundschaft und Verständigung. Einerseits wollte er, dass ich mich öffnete und preisgab, andererseits verstand er nicht, dass ich mir dasselbe von ihm wünschte.
Aus dem luftigen Teekuchen, der auf der Theke abkühlte, stieg der Duft von Ingwer und Zitrone auf. »Guten Morgen. Hast du Hunger?« Joi, die am Backofen stand, drehte sich lächelnd und mit freundlichem Blick zu mir um.
Auf der Liste der kleinen, aber wichtigen Veränderungen war zu vermerken, dass ich nun schon seit einigen Wochen frühstückte und es genoss. Was für eine Überraschung. »Nein, der Kuchen war wundervoll. Danke, dass …«
»Ein Familienrezept der McClamrochs«, fiel sie mir ins Wort. »Das Beste, was es zu einer Tasse starken schwarzen Tees gibt. Kannst du anfangen zu arbeiten, oder brauchst du noch einen Tag zum Eingewöhnen?«
Ich platzte fast vor aufgestauter Energie. »Ich bin bereit.« Bereit, alles, irgendetwas, zu tun, um meine Hände zu beschäftigen, während mein Verstand durch das Labyrinth meines Lebens irrte.
»Gut, es freut mich, das zu hören. Wir müssen eine Menge backen, doch darum habe ich mich schon gekümmert. Es wäre gut, wenn du sämtliche Regale abstaubst. Das heißt, dass du alle Waren abräumen und anschließend wieder genauso anordnen musst. Und danach kannst du die Spiegel und die Vitrinen putzen. Geht das?«
Ich nickte. »Das ist auch eine gute Methode, mich mit dem Sortiment vertraut zu machen, richtig?«
Sie strahlte, als hätte ich eine wichtige Prüfung bestanden. »Genau. So kannst du den Kunden helfen, wenn sie etwas suchen. Die Zimmer im oberen Stockwerk haben es am nötigsten. Dort bewahren wir die Festartikel auf, die gerade nicht Saison haben. Wir müssen heute später noch alles für den Valentinstag herunterholen und aufbauen und außerdem die neue Lieferung von dieser Woche einräumen. Fang mit dem Abstauben an. Zur Essenszeit brauche ich dich dann in der Küche, damit wir nicht in schmutzigem Geschirr ersticken. Aber am besten beginnst du …«
»… mit dem Abstauben?«, beendete ich den Satz. Offenbar war sie mit einer Batterie ausgestattet, der nie der Saft ausging. Ich beneidete sie um die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Während sie mir Anweisungen gab und mir alles erklärte, sauste sie, geschäftig hantierend, in der Küche herum.
Mit Staubwedeln, Papierhandtüchern und Glasreiniger bewaffnet, stieg ich die Treppe hinauf. Die geistlose Arbeit gab mir die Möglichkeit, über unsere nächsten Schritte nachzudenken. Vater Anthony, ein Mädchen und eine Katze. Meinem Verdacht, dass Custos mehr war als nur ein Wolf, wollte ich ebenfalls auf den Grund gehen. War sie göttlich? Einer der Helfer der Schöpfer, die Mom in ihrem Brief erwähnt hatte?
Beim Anblick des Durcheinanders stöhnte ich und betrachtete das Fiasko um mich herum. Strümpfe, Geschenkpapier, Teddybären in Weihnachtspullis und künstliche Weihnachtsbäume mit glitzerndem Schmuck waren überall in Haufen verstreut, als hätte jemand sie nach oben gebracht und achtlos hingeworfen. Die Sachen stapelten sich bis zur Decke. Im ersten Moment überwältigt, konnte ich bald die Ironie in der Tatsache sehen, dass mein Wunsch offenbar in Erfüllung gegangen war: Hände und Verstand würden beschäftigt sein.
Ich räumte mir eine kleine Fläche auf dem Fußboden frei und fing dann in kleinen Etappen mit dem Putzen an. Dabei wälzte ich die großen Fragen in mir herum, die so schwer auf meinem Herzen lasteten. Warum war meine Tante bei jeder unserer Begegnungen in Begleitung dieser Frau gewesen? Konnte dieser Vater Anthony uns sagen, wer sie war oder wo wir das Mädchen finden würden?
Als die Bedienungen eintrafen, rief Joi mich nach unten, um sie mir vorzustellen. Sie zeigte mir auch das Reservierungsbuch und brachte mir bei, Anrufe entgegenzunehmen. Kaum zeigte das Schild in der Tür
Geöffnet
an, schloss sie sich schon hinter dem ersten Kunden, dem bald weitere Stammgäste folgten.
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Kapitel 8
A ls die Mittagsgäste die Teestube stürmten, stellte ich mich ans Spülbecken und versuchte, Geschirr und Gläser Herr zu werden. Allmählich war ich am Ende meiner Kräfte, als eine weitere Welle von Damen, die sich spätnachmittags zum Teetrinken trafen, mich mit zarten Teetassen und winzigen Tellerchen beglückten, die sich rings um mich herum auf den Arbeitsflächen stapelten. Ich zerbrach nur drei davon.
Ich starrte aus dem Fenster, wo Tens wie ein Wilder den Garten
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