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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Sonnenbank, ab Mai lag sie auf ihrer Terrasse oder beschäftigte sich in ihrem Vorgarten, um nur ja keinen Sonnenstrahl zu verpassen.
    Merkel sah Ulla Fendrich hin und wieder, wenn er vorbeiging. Für ihn war sie eine Frau, die vor lauter Langeweile nicht wusste, ob es ihr nun gut oder schlecht ging. Sie war ihm nicht direkt unsympathisch, sie war ihm schlicht gleichgültig, ein Strich in der Landschaft, nur Haut und Knochen. Neben ihr wirkte Irene, die man nun bestimmt nicht als übergewichtig bezeichnen konnte, obwohl sie durch die Schwangerschaft ein paar Pfund zugelegt hatte, geradezu propper.
    Im dritten Haus, einem schmucklosen, doppelstöckigen Klotz, lebte ein junges Paar mit zwei kleinen Kindern, von denen man jedoch kaum etwas sah oder hörte. Zu hören war immer nur die hysterische Mutter, die in einem fort unsinnige Zurechtweisungen oder Kommandos brüllte und Irene damit fünfzigmal am Tag zu einem Kopfschütteln veranlasste. Wie die junge Familie hieß, wusste Merkel nicht. Irene sprach immer nur von dem nervösen Huhn und den armen Kindern.
    Wenn er in den Rosenweg einbog, stieg er jedes Mal vom Rad und schob es die letzten Meter. Natürlich hätte er trotz der von Baumaschinen gezeichneten Straße fahren können. Er fuhr ja auch in die Gartenstadt rein, dabei trat er auch noch tüchtig in die Pedale. Aber wenn er das letzte Stück zu Fuß ging, sah es nicht so aus, als hätte er es eilig.
    Irene sah ihn meist durchs Küchenfenster kommen, öffnete die Tür und lachte ihm entgegen, noch während er das Rad an den niedrigen Zaun lehnte, der ihren Vorgarten begrenzte. Er nahm die Packtaschen herunter, darin brachte er ihr die Wäsche mit, die sich im Laufe der Woche bei ihm ansammelte.
    Schon beim ersten gemeinsamen Frühstück hatte sie ihm
• das angeboten. «Du musst es mit der Hand schrubben, und für mich ist das keine Arbeit, Papa. Die Arbeit erledigt die Maschine, während wir es uns gemütlich machen.»
    Sehr weit her war es in den ersten Wochen noch nicht mit der Gemütlichkeit. Um zehn Uhr musste sie ihren Sohn versorgen, das störte nicht weiter. In der Zeit nahm Merkel ein Bad. Aber manchmal ging es bei ihr zu wie in einem Taubenschlag. Doch sie schaffte es bald, den Leuten, die noch regelmäßig zu ihr kamen, um sich auszuweinen, einen Rat zu holen, ein bisschen tatkräftige Hilfe, manchmal auch etwas Geld, klarzumachen, dass der Dienstagvormittag tabu war. Der gehörte ihrem Vater. Es blieben genug Tage für die anderen.
    Andere gab es reichlich. Zwei davon lernte Merkel persönlich kennen. Frau Bodewig, die mit sechs Kindern alleine lebte, immer in der Angst, man könne ihr sie wegnehmen, weil sie häufig zur Flasche griff und sich von irgendwelchen Männern abschleppen ließ, wenn ihr die Dinge über den Kopf wuchsen. Herr Bodewig war auf der Autobahn einem schrottreifen Lkw zum Opfer gefallen. Eine Entschädigung hatte die Familie auch nach zwei Jahren noch nicht gesehen.
    Das jüngste Kind, ein Mädchen, war inzwischen vier, der älteste Sohn achtzehn. Er arbeitete bereits und versuchte, die Familie zusammenzuhalten und seine Geschwister über die Runden zu bringen, wenn seine Mutter mal wieder für ein paar Tage versackt war. Manchmal kam er zu Irene, doch meist kam seine Mutter, drei-, viermal die Woche zu unregelmäßigen Zeiten, aber Verzweiflung richtete sich nicht nach Terminkalendern.
    Der zweite war Helmut Ziriak, den Irene den Jungen nannte, obwohl er schon zwanzig war, an die zwei Meter groß und nicht eben dünn dabei. Ziriak kam zweimal an einem Dienstagmorgen, während Merkel in der Küche seiner Tochter saß. Beim ersten Mal kam er nur bis zur Haustür, hatte Merkels Rad am Zaun gesehen, erkundigte sich, ob Irene Besuch habe, und war gleich wieder verschwunden.
    Beim zweiten Mal bat sie ihn herein: «Jetzt stell dich nicht so an, Helmut. Das ist mein Vater. Du bist doch sonst nicht menschenscheu.»
    Dann zerrte sie den Hünen am Arm hinter sich her in die Küche und machte sie miteinander bekannt. Helmut Ziriak grinste verlegen auf Merkel hinunter, sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Setz dich zu uns, Helmut. Brauchst dich nicht zu genieren. Mein Vater ist in Ordnung. Magst du einen Kaffee mit uns trinken?»
    Helmut Ziriak hatte drei Heimaufenthalte hinter sich, weil seine Mutter ihn nicht bändigen konnte. «Er ist nicht bösartig und nicht blöd», sagte Irene, nachdem Ziriak den Kaffee getrunken und sich wieder davongemacht hatte, ohne dass klar geworden wäre,

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