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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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warum er überhaupt gekommen war. Aber das hatte sie Merkel schon nach seinem ersten Auftauchen erzählt.
    Der Riese träumte davon, den Führerschein zu machen. Das war praktisch ausgeschlossen, er konnte kaum lesen und schreiben. Und Irene setzte sich dreimal in der Woche mit ihm hin, ließ ihn aus einer Fibel für Schulanfänger vorlesen, diktierte ihm kleine Textstücke und erklärte zum hundertsten Mal Verkehrsregeln, von denen Helmut Ziriak annahm, dass sie nicht für ihn gemacht waren. Er brauchte auch keine Regeln, im Zweifelsfall galt immer: «Mann, den hau ich in die Fresse.»
    «Er ist einer von den klassischen Fällen», sagte Irene. «Es war nie jemand da, der sich richtig um ihn gekümmert hat. Jetzt tut er sich ein bisschen schwer mit allem. Er kann nicht richtig aus sich heraus, kann sich nicht ausdrücken und glaubt immer gleich, dass ihm alle Welt ans Fell will. Dann schlägt er eben zu. Aber manchmal denke ich, die Leute übertreiben. So wie er aussieht, muss er nur mal die Faust ballen, schon wird ihm das als gefährliche Körperverletzung ausgelegt.»
    Irene war der Meinung, Ziriak habe ein Gemüt wie ein Kind und sei im Grunde seines Herzens ein lieber Kerl. Bei ihr war jeder ein lieber oder ein armer Kerl. Und wenn einer versagte oder sonst wie über die Stränge schlug, fand sie tausend Entschuldigungen und Erklärungen. Sie konnte alles erklären, auch, dass Helmut Ziriak als Siebzehnjähriger in der Straßenbahn einen Fahrgast krankenhausreif geschlagen hatte, nur weil der ihn nach der Uhrzeit gefragt und dann eine spöttische Bemerkung über den Fünf-Mark-Wecker gemacht hatte, den Ziriak am Handgelenk trug.
    Oder dass Frau Bodewig, die Schnapsdrossel, sie um Geld anbettelte, um die Miete, den Strom, eine Versicherung oder sonst etwas zu bezahlen. Und Irene wusste, dass sie das Geld umgehend in den nächsten Schnapsladen trug oder mit irgendwelchen Kerlen durchbrachte. Trotzdem zückte sie jedes Mal ihre Börse und räumte auch noch ihren Vorratsschrank leer, damit die Kinder von Frau Bodewig satt wurden.
    Ohloff besuchte sie ebenfalls regelmäßig, mindestens zweimal in der Woche. Günstig war das kaum, nachdem ihr Mann ihn in der Klinik angetroffen und sie bereits vorher verdächtigt hatte, ihn zu betrügen. Davon wusste Merkel nichts. Ihm war auch völlig verborgen geblieben, dass sein Schwiegersohn etliche Wochen lang bei seinen Eltern gelebt hatte. Darüber hatte Irene nicht einmal mit Agnes gesprochen.
    Inzwischen schien die Ehekrise auch überwunden. Sechs Wochen nach der Geburt seines Sohnes kam Gernot nach Hause, obwohl die Straße immer noch nicht asphaltiert war. Aber er liebe sie, sagte er, habe viel nachgedacht und fände, sie seien beide verpflichtet, einen neuen Anfang zu machen, allein schon wegen des Kindes. Sein Sohn solle nicht ohne Vater aufwachsen.
    Natürlich fragte Gernot auch, wer der Blonde gewesen sei, der in der Klinik an ihrem Bett gesessen hatte. Sie belog ihn, um weiteren Diskussionen vorzubeugen, nur ein Arbeitskollege, der auch in nächster Zeit wohl mal vorbeikäme, um mit ihr über den einen oder anderen Sozialfall zu sprechen.
    So wusste Merkel als Einziger, dass auch ein wegen sexueller Nötigung und gefährlicher Körperverletzung Vorbestrafter bei seiner Tochter verkehrte. Vor ihm konnte sie das nicht verbergen, weil Ohloff montags in der Kneipe schwärmte, was für eine tolle Frau Irene sei. Es gefiel Merkel ganz und gar nicht. Mit Ohloff war nicht zu spaßen. Wenn der erst anfing, sich einzubilden, er könne bei ihr landen, und wenn sie ihn dann abwies. Das stellte Merkel sich lieber nicht vor.
    Es war doch ein gewaltiger Unterschied, ob sie Ohloff in einer Kneipe traf, wo genug andere Drumherum waren, oder ob sie ihn in ihrem Haus empfing, wo sie im Notfall nicht mit Hilfe rechnen konnte. Wer hätte ihr denn beistehen sollen? Ulla Fendrich, dieser Strich in der Landschaft? Oder das nervöse Huhn aus dem dritten Haus, das nicht mal mit zwei kleinen Kindern fertig wurde? Die Bauarbeiter auf den umliegenden Grundstücken bekämen doch nichts mit bei dem Lärm, den sie veranstalteten.
    Einmal warnte er sie auch. «Pass ein bisschen auf bei Ohloff. Er ist unberechenbar, geht beim geringsten Anlass auf die Leute los. Und er macht auch vor einer Frau nicht Halt, eine hat er beinahe abgeschlachtet.»
    Sie lächelte. «Ich weiß, Papa. Er hat’s mir erzählt. Das und einiges mehr. Seine Mutter hat ihn früher für jede Kleinigkeit halb tot geprügelt. Du

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