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Merlin und die Feuerproben

Merlin und die Feuerproben

Titel: Merlin und die Feuerproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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Damtiers stand Hallia auf. »Ja, sie sind hier, in den Höhlen begraben, und mit ihnen ein Teil von mir.«
     Sie seufzte. »Im Herzen hänge ich immer noch an dieser Küste, so wie diese blauen Muscheln an den Felsen dort drüben hängen.
     In meinen Träumen treibe ich durch diesen Nebel – wie die zarte silbrige Qualle, die durch die Untiefen schwimmt und immerzu
     das Wasser atmet, das zu ihrem Körper wird.«
    Ihre Worte kreisten mich ein, umhüllten mich wie der Nebel. »Warum bist du dann weggegangen?«
    »Wegen der Klippen. Der alte Vulkan, den sie umgeben, fing an zu grollen und dann zu rauchen.« Ihre Blicke schossen wie gereizte
     Möwen über die Küste. »Der Berg hat zwar nie Feuer gespuckt wie in der fernen Zeit, aber er   … ließ andere Dinge frei. Böse Dinge.«
    Unter meinem Auge fing die empfindliche Narbenhaut an zu schmerzen. Wahrscheinlich weil Hallia vom Feuerberg gesprochen hatte
     – der mich an jene Flammen erinnerte, die mein eigenes Werk waren und mein Gesicht für immer gezeichnet hatten. Ich griff
     hoch und wollte die Haut streicheln, da stockte meine Hand. Diese Narbe untermeinem Auge stammte nicht von jenen Flammen. Nein! Sie rührte von einer älteren Wunde her, die mir Jahre zuvor beigebracht
     worden war.
    Wie konnte ich das vergessen haben? An diesem längst vergangenen Tag hatte an einem verlassenen Strand ähnlich wie diesem
     hier ein wilder Keiler angegriffen – und ich war sein Opfer gewesen. Ich konnte immer noch sein Knurren hören, seine Hauer
     sehen, seinen heißen Atem spüren. Und mit jedem schmerzenden Pulsschlag konnte ich mich an den Schrecken erinnern, als ich
     entdeckte, dass es gar kein Keiler war, sondern der verruchte Kriegsherr der Geisterwelt: Rhita Gawr.
    Hallia stieß mit der Schulter an meine, wie sie es als Damtier bei Eremon getan hatte. »Du bist beunruhigt, das sehe ich.«
    Trotz der feuchten Luft war meine Kehle wie ausgedörrt. »Diese bösen Dinge   … vom Berg. Was waren sie?«
    Hallia runzelte die Stirn, dann bückte sie sich nach einer Mondschnecke im Sand. Nachdenklich fuhr sie mit dem Finger über
     das runde, spiralige, perlmuttfarbene Schneckenhaus. »Etwas sagt mir, dass du es schon weißt. Geister – zornige Geister. Die
     allen, die hier lebten, den Tod und nicht das Leben bringen wollten.«
    Ich nickte und ihr Gesicht wurde noch düsterer. »Sie kamen aus den Klippen, den Höhlen, anscheinend sogar aus dem Meer. Niemand
     wusste, warum. Wir wussten nur, dass Krankheit und Schmerz ihnen folgten.« Sie zuckte zusammen, als ihr etwas einfiel. »Und
     dass sie nur einmal zuvor gekommen waren.«
    »Wann war das?«
    Vorsichtig legte sie das Schneckenhaus auf den Randeines Steins, der mit Rankenfußkrebsen verkrustet war. Bevor sie sich aufrichtete, berührte sie die Blüte einer rosa Seeanemone,
     die schlaff auf die Rückkehr der Flut wartete. Schließlich stand sie wieder vor mir, ihre Augen waren jetzt eher traurig als
     verängstigt. »Eremon hätte es dir sagen können. Er kannte all die alten Geschichten.«
    Ich legte die Arme um die Brust, um mich zu wärmen. »Er fehlt mir.«
    »Mir auch«, flüsterte sie. »Mir auch.«
    Ich sah, wie sie mit der Zunge die Lippen befeuchtete. »Was macht dein Zahn?«
    »Er tut noch ein bisschen weh«, sagte sie. »Aber anderes schmerzt mehr.«
    »Du musst diese Geschichte nicht erzählen, wenn du nicht willst. Ich hatte nur das Gefühl   …«
    »Ich will es versuchen.«
    Sie wandte das lange Kinn den Wellen und dem wabernden Nebel dahinter zu und fing an in langsamem, feierlichem Rhythmus zu
     erzählen. »In der Zeit vor der Zeit konnten alle gesprochenen Worte gesehen, berührt und in Händen gehalten werden. Jede Geschichte
     wurde, sobald sie erzählt war, ein leuchtender Faden, der sich in einen endlosen, lebendigen Teppich verwob. Er reichte von
     diesen Klippen bis hinunter zum Meer, über den Strand und unter die Wellen, wo er außerhalb von Reichweite und Kenntnis lag.
     Der Teppich – voller Farben und Formen, schattigen und hellen Stellen – hatte viele Namen, doch die Hirschmenschen nannten
     ihn Carpet Caerlochlann.«
    Sie beobachtete einen Krebs, der, mit einem zerfetzten Tangwedel geschmückt, über das Treibholz an ihrem Fußstolzierte. »Der Teppich wurde mit jedem Jahr leuchtender, seine Struktur immer reichhaltiger. Bis   … er so herrlich war, dass er einem auffiel, der ihn haben wollte. Nicht um sich an den Geschichten zu freuen – um die vielen
     Schichten verwobener

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