Merlin und die Fluegel der Freiheit
Gesicht lag halb im Schatten. »In meiner Erinnerung ist Stangmar ein anderer
Mann als der, den du beschreibst«, sagte sie leise. »Ein junger Mann, manchmal linkisch, dann wieder ritterlich, der bis ins
ferne Britannien reiste, um mich zu freien, so groß war seine Liebe. Lange bevor Rhita Gawr ihn verführte und verdarb, war
er ein Mann mit Idealen – gewiss nicht ohne Fehler und Widersprüche, aber ein Mann, der versuchte mutig, mitfühlend und gütig
zu sein.«
»Nicht Stangmar!«, widersprach ich, das Blut hämmerte mir in den Schläfen. »Das ist nicht möglich.«
Elen lächelte traurig. »Du hast ihn nie gekannt, wie er war. Er hat mir sogar den Galator geschenkt – seinen kostbaren Anhänger,
den größten Schatz seines Reiches –, nur um mir zu zeigen, wie stark seine Gefühle für mich sind.«
»Und dann versuchte er mich zu ermorden, den eigenen Sohn«, zischte ich, »nur um Rhita Gawr zu beschwichtigen!«
Sie seufzte unglücklich und sagte: »Ich verteidige nicht, was aus ihm geworden ist.« Dann legte sie den Kopf auf Cairprés
Schulter und verflocht ihre Finger mit seinen. »Und ich sage auch nicht, dass seine Liebe nur annähend so tief und wahrhaftig
war wie die Liebe, die ich seither gefunden habe.«
Wie die beiden so dicht nebeneinander saßen, die Gesichter vom Feuerschein beglänzt, war es, als würden sie miteinander verschmelzen.
Bei ihrem Anblick musste ich an Hallia denken, die jetzt nach Norden lief und Hilfe für unsere Sache suchte. Wie sie mir fehlte!
Cairpré lockerte seinen Wollschal und sagte nachdenklich: »Der Galator . . . oh, wie wir jetzt seine Hilfe brauchen könnten!
Auch wenn seine Kräfte ein Geheimnis bleiben. Sie müssen ungeheuer gewesen sein, da sie zu so vielen alten großartigen Balladen
angeregt haben.«
Ich erinnerte mich daran, wie das grüne Leuchten des Anhängers aufgeblitzt war. Und wie er für immer unter einem Lavaberg
verschwand. »Dass der Galator verloren ging, ist tragisch.«
»Und weitaus tragischer ist«, fügte meine Mutter hinzu, »dass der Mann, der ihn mir schenkte, verloren ist.« Sie beugte sich
vor und sah mich an. »Ich sage dir, der Mann, den ich damals kannte, ist nicht der Mann, den du jetzt kennst.«
Ich verzog das Gesicht. »Der Mann, den ich jetzt kenne, ist darauf aus, dich zu töten.«
Rhia nickte. »Es ist wahr, Mutter. Du musst vorsichtig sein.«
»Und was soll ich tun?« Ihre Augen leuchteten so hell wie die Kohlen im Feuer. »Mich in dieser verfallenen Lehmhütte verbergen?
Oh nein, meine Kinder, ich werde mich nicht verstecken wie ein ängstliches Karnickel.«
»Mutter«, mahnte ich, »du musst zuhören. Er ist ein Wahnsinniger. Ein Mörder.«
»Vielleicht. Aber ich kann immer noch nicht glauben, dass er mir etwas antun würde. Nicht bis er mir oder einem von euch sagt,
dass er das vorhat.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wohin willst du dann gehen?«
»Wohin es mir gefällt.«
»Willst du nicht wenigstens in den nächsten beiden Wochen in diesem abgelegenen Dorf bleiben, wo er dich bestimmt nicht sucht?
Wenn vorbei ist, was in der längsten Nacht geschehen soll, können wir bessere Möglichkeiten finden, dich zu beschützen.«
»Bitte!«, sagte Rhia.
Elen betrachtete uns einen spannungsgeladenen Moment lang. Schließlich erklärte sie: »Ich werde zwei weitere Tage hier bleiben,
nicht länger. Und nicht weil ich das will, sondern weil meine Kinder sich so sorgen, dass sie mich darum bitten.«
»Aber . . .«
Cairpré brachte mich mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Sie hat einen Willen wie gehärtete Eiche, deine Mutter.
Zwar gibt sie nach von Zeit zu Zeit, doch weicht sie keinen Finger breit.
Am besten versucht man erst gar nicht ihre Meinung zu ändern. Glaub mir, so viel habe ich gelernt.«
Elen grinste ihn an. »Willst du damit sagen, dass ich stur bin?«
»Oh nein. Nur widerspenstig, unflexibel und absolut unerschütterlich.«
Sie kniff die blauen Augen zusammen. »Du bist also auch der Ansicht, dass ich länger hier bleiben sollte?«
»Elen«, antwortete er stirnrunzelnd, »ich finde ebenfalls, dass hier der sicherste Ort ist. Aber ich kenne dich zu gut und
liebe dich zu sehr, um dich um mehr zu bitten als den Versuch, so vorsichtig wie möglich zu sein. Dir zu befehlen wäre, als
wollte man den Wellen im Meer befehlen oder den Wolken am Himmel.«
Langsam entspannte sich ihr Gesicht. Sie betrachtete ihnvoll tiefer Zuneigung. »Du, mein Dichter, hast mir etwas
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