Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
Anzug. »Es tut mir Leid, dass ich nicht früher gekommen bin. Ich habe dich überall gesucht.
Schließlich kam ich, mehrere Stunden nachdem du gegangen warst, nach Caer Neithan. Als Cairpré mir sagte, was du vorhast,
folgte ich dir, so schnell ich konnte.« Traurig schaute sie auf Elen hinunter. »Es muss schrecklich sein. Als würde man einen
Alptraum schlucken.«
»M-mir geht es gut«, antwortete Elen, obwohl ihr erbärmliches Aussehen dem widersprach. Sie versuchte sich aufzurichten und
fiel auf den Sand zurück.
Hinter mir klirrten Glocken. Eine vertraute Stimme stöhnte: »Ich spüre, Tod liegt in der Luft.«
Ich fuhr herum. »Verschwinde! Du bist so schlimm wie diese vergiftete Blume!«
Er ließ den Kopf noch tiefer als sonst sinken. »Ich teile deine Betrübnis. Wirklich. Vielleicht könnte ich dein Leid mit einem
Lied von Bumbelwy dem Fröhlichen lindern?«
»Nein!«
»Wie wäre es dann mit einem Rätsel? Meinem berühmten über die Glocken?«
»Nein!«
»Na schön!«, grollte er. »In diesem Fall verschweige ich dir auch, dass es nicht die Blume war, die sie vergiftet hat.« Er
schnitt eine grimmige Grimasse nach der anderen. »Und ganz bestimmt sage ich dir nicht, dass es Rhita Gawr war.«
Mein Magen verkrampfte sich, meine Mutter stieß einen Schrei aus. Ich packte Bumbelwys weiten Ärmel und schüttelte ihn so
wild, dass die Glocken schepperten. »Wie kommst du darauf?«
»
Der Todesschatten.
Ich habe oft gehört, wie er beschrieben wurde. Zu oft, als dass selbst ein Narr wie ich es vergessen könnte. Wenn Rhita Gawr
Rache nimmt, ist das eine seiner Lieblingsmethoden.«
Elen schauderte und stöhnte vor Schmerz. »Er sagt die Wahrheit, mein Sohn. Wenn ich nicht über dem Zauber den Verstand verloren
hätte, wäre es mir früher eingefallen.« Sie verzog qualvoll das Gesicht, während die Briseanschwoll, als würde selbst der Ozean einen schweren Seufzer ausstoßen. »Aber warum ich? Warum ich?«
Plötzlich überkam mich Schwäche. Denn ich wusste instinktiv, dass der Todesschatten nicht für meine Mutter gemeint war. Er
war für mich gemeint. Doch durch meine Schuld – meine Dummheit – hatte er sie statt meiner getroffen. Ich hätte auf Cairpré
hören sollen. Ich hätte sie nie hierher bringen sollen.
»Rhita Gawr wendet diese Methode nur bei denen an, deren Tod er wirklich genießt«, sagte Bumbelwy. »Denn der Tod ist langsam,
quälend langsam. Und unsagbar schrecklich. Wer davon betroffen ist, leidet einen ganzen Monat lang – während der vier Mondphasen –, bis er schließlich stirbt. Aber in den letzten Momenten des Todeskampfs, habe ich gehört, muss er mehr Höllenqualen, mehr
Marter, mehr unerträglichen Schmerz aushalten als im ganzen Monat zuvor.«
Wieder stöhnte Elen und zog die Knie an ihre Brust.
»Genug.« Ich brachte den Spaßmacher mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Hör auf von solchen Dingen zu reden. Willst du
sie noch schneller umbringen? Sag lieber gar nichts – es sei denn, du wüsstest, wie man sie heilt.«
Bumbelwy wandte sich kopfschüttelnd ab. »Es gibt keine Heilung.«
Ich machte mich an meinem Kräuterbeutel zu schaffen. »Vielleicht ist hier etwas . . .«
»Es gibt keine Heilung«, wiederholte bekümmert der Spaßmacher.
»Oh, aber es
muss
eine geben«, widersprach Rhia. Sie kniete sich neben meine Mutter und streichelte ihr dieStirn. »Es gibt ein Heilmittel für jedes Leiden, egal wie furchtbar. Man muss nur die Sprache der Wunde kennen.«
Kurz hellte sich Elens Miene auf. »Sie hat Recht. Es könnte ein Heilmittel geben.« Sie musterte Rhia lange. Dann fragte sie
mit schwacher Stimme: »Wie heißt du, Mädchen? Und woher weißt du so viel über die Heilkunst?«
Rhia klopfte auf ihren Anzug aus Rankengewebe. »Die Bäume der Druma haben mich gelehrt. Sie sind meine Familie.«
»Und dein Name?«
»Die meisten nennen mich Rhia. Außer den Waldelfen, die noch meinen ganzen Namen gebrauchen, Rhiannon.«
Das Gesicht meiner Mutter verzog sich vor Schmerz – aber diesmal schien nicht ihr leidender Körper die Ursache zu sein. Es
war offenbar ein anderer Schmerz, anderswo empfunden. Doch sie sagte nichts. Sie drehte nur den Kopf zum wogenden Nebel jenseits
des Strandes.
Rhia kam näher. »Bitte sag mir deinen Namen.«
»Elen.« Sie schaute zu mir herüber. »Ich werde aber auch Mutter genannt.«
Ein Stich fuhr mir durchs Herz. Sie hatte immer noch keine Ahnung, dass dies alles meine Schuld war. Dass ich
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