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Merlin - Wie alles begann

Merlin - Wie alles begann

Titel: Merlin - Wie alles begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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ein Gefangener, eingesperrt im Kerker meiner Blindheit.
    Zwei- oder dreimal fasste ich Mut und ging los, tastete mich mit den Händen an der schweren Holztür vorbei in das Labyrinth
     der Flure und Zellen dahinter. Ich entdeckte, dass ich die Länge und Höhe der Gänge und die Größe der Räume einschätzen konnte,
     wenn ich aufmerksam auf das Echo meiner Schritte lauschte.
    Eines Tages fand ich eine Treppe, deren Steinstufen im Lauf der Jahre zu flachen Schalen ausgetreten worden waren. Beim Hinuntergehen
     tastete ich mich vorsichtig an der Wand entlang, stieß dann unten eine Tür auf und war in einem duftenden Hof. Feuchtes Gras
     berührte meine Füße, warmer Wind wehte mir ins Gesicht. Plötzlich erinnerte ich mich, wie schön es war, draußen zu sein im
     Gras, in der Sonne. Dann hörte ich die Nonnen in der nahen Kapelle singen. Ich wollte sie finden und ging schneller. Ohne
     Warnung prallte ich so heftig gegen eine Steinsäule, dass ich rücklings in einen flachen Teich fiel. Als ich aufzustehen versuchte,
     trat ich auf einen losen Stein und stürzte zur Seite. Zerschlagen und blutig, mit zerrissenen Verbänden blieb ich schluchzend
     liegen, bis Branwen mich fand.
    Danach rührte ich mich nicht mehr von meinem Lager in der Zelle, überzeugt, dass ich den Rest meiner Tage als Branwens hilflose
     Last verbringen würde. Selbst wenn ich versuchte an anderes zu denken, kehrten meine Gedanken immer zu dem Tag zurück, der
     mich zu Grunde gerichtet hatte. Der Anblick von Branwen, gefesselt und geknebelt beim Baum. Der Zorn, der so heftig übergekocht
     war. Das Gelächter und dann die Schreie von Dinatius. Die sengenden Flammen ringsum. Die zerschmetterten Arme und der kaputte
     Körper unter denÄsten. Meine eigenen Schreie, als ich merkte, dass mein Gesicht brannte.
    An unsere Reise nach Caer Myrddin erinnerte ich mich nicht, doch dank Branwens knapper Beschreibung konnte ich sie mir ganz
     gut vorstellen. Fast konnte ich Luds rundes Gesicht sehen, als er zuschaute, wie wir im Wagen eines durchreisenden Händlers
     über den Hügel fuhren; der Mann hatte Mitleid mit der blauäugigen Frau und ihrem schwer verbrannten Sohn bekommen. Fast konnte
     ich das Schaukeln des Pferdewagens spüren, fast das Quietschen der Räder und die Hufschläge auf dem Treidelpfad hören. Fast
     konnte ich meine eigene verkohlte Haut schmecken, fast mein fiebriges Jammern hören bei der Fahrt durch jene langen Tage und
     Nächte.
    Jetzt wurde das Gleichmaß meiner Tage nur sehr selten unterbrochen. Vom Singen der Nonnen. Vom Schlurfen ihrer Schritte auf
     dem Weg zur Kapelle, zu Mahlzeiten, zu Meditationen. Branwens leise Gebete und Gesänge, als sie ihr Bestes tat, um mich zu
     heilen. Die ständigen Rufe des Kuckucks, der hoch oben in einem raschelnden Baum saß, dessen Namen ich nicht wusste.
    Und Finsternis. Immer Finsternis.
    Wenn ich auf meinem Lager saß, fuhr ich manchmal vorsichtig mit den Fingern über den Schorf auf meinen Wangen und unter den
     Augen. Die Risse in meiner Haut fühlten sich schrecklich tief an, wie Tannenrinde. Ich wusste, dass mein Gesicht trotz Branwens
     Heilkünsten für immer entstellt sein würde. Selbst wenn durch irgendein Wunder meine Sehkraft jemals wieder hergestellt werden
     würde, diese Narben würden der Welt meine närrische Tat verkünden. Es war mir klar, dass solcheGedanken töricht und eitel waren. Sie kamen dennoch immer wieder.
    Einmal sehnte ich mich danach, mir einen Bart wachsen zu lassen. Ich stellte mir einen dichten Vollbart vor – wie ihn ein
     uralter Weiser, Jahrhunderte alt, tragen könnte. Das war vielleicht ein Bart! Lockig und weiß bedeckte er mein Gesicht wie
     dichte Wolken. Ich nahm sogar an, dass ein Vogel oder zwei versuchen könnten darin zu nisten.
    Aber solche Momente waren selten. Immer häufiger packte mich die Verzweiflung. Nie mehr würde ich auf einen Baum klettern.
     Nie mehr über eine Wiese laufen. Nie mehr Branwens Gesicht sehen, außer in der Erinnerung.
    Ich fing an meine Mahlzeiten unberührt stehen zu lassen. Trotz Branwens Drängen, dass ich mehr essen sollte, hatte ich keinen
     Appetit. Eines Morgens kniete sie neben mir auf den Bodenfliesen und versorgte wortlos meine Wunden. Als sie versuchte den
     Verband neu anzulegen, wich ich ihr aus und schüttelte den Kopf.
    »Ich wollte, du hättest mich sterben lassen.«
    »Es war noch nicht Zeit für dich zu sterben.«
    »Woher weißt du das?«, fuhr ich sie an. »Ich fühle mich, als wäre ich

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