Merlins Drache II - Die Große Aufgabe: Roman
kurz schaute er hinauf zu Hallias Gipfel – »von Avalon.«
Basilgarrad sah die ganze Anspannung in Merlins Gesicht, besonders in den Falten um die Augen, und nickte düster. Er verstand zum ersten Mal die ganze Bedeutung – und die entgegengesetzten Kräfte – von Merlins wahrem Namen Olo Eopia. Es war nicht leicht,
ein großer Mann vieler Welten, vieler Zeiten
zu sein. Wie es auch nicht leicht war, in irgendeiner Welt oder Zeit so von Verlust und Leid gequält zu sein.
Merlin zog wie so oft die buschigen Augenbrauen hoch, bevor er etwas sagte, das ihm schwerfiel. »Und jetzt, alter Freund, muss ich mich von dir verabschieden.« Er trat an den Rand des Steins und legte die Hand auf die Unterlippe des Drachens. »Du weißt, wenn ich diese Welt verlasse, heißt das nicht, dass ich
dich
verlasse. Wir haben etwas Kostbares, kostbarer als jede Magie oder jeder Edelstein, und das wird sich nie ändern. Ich verspreche es! Auch wenn ich weit weg sein werde, bin ich bei dir – solange die Sterne hell über Avalon leuchten.«
Basilgarrad schaute dem Zauberer ins Gesicht und legte die schuppige Stirn in tiefe Falten. Zum ersten Mal, seit er ein Drache geworden war, kam er sich sehr klein vor.
28
Sternenlicht
Ah, was gäbe ich für einen guten Schlaf! Ich erinnere mich, dass ich einmal eine ganze Nacht lang geschlafen habe … es ist eine Ewigkeit her. Ich rede nicht von einem gelegentlichen Albtraum. Es geht darum, aufzuwachen und etwas Schlimmeres zu sehen als jeden Traum.
L eb wohl, mein Freund.«
Mit diesen Worten reiste Merlin ab, seine Kraft des Springens brachte ihn in eine andere Welt. Basilgarrad sah traurig, wie er verschwand, in der funkelnden Luft schien er sich aufzulösen. Eben noch hatte der Zauberer mit seinem Stab auf dem Sternguckerstein gestanden und den Drachen angeschaut, im nächsten Moment war die Steinplatte leer.
Beinah leer. Als Merlin schon verschwunden war, blieb sein Stab ein paar Sekunden lang zurück. Er stand aufrecht und bebte zwischen den magischen Funken. Basilgarrad musterte ihn, er erinnerte sich an Merlins Glauben, der Stab würde über eine Art Intelligenz verfügen, einen geheimnisvollen eigenenWillen. Langsam fing der Stab an, unter seinen Augen zu verblassen. Dann, im letzten Augenblick, blitzte eine der Runen, die in das Holz geschnitzt waren, in einem jähen grünen Lichtschwall auf – und der Stab verschwand völlig.
Seltsam.
Basilgarrad spitzte verwirrt die Ohren.
Das war nicht das Symbol für Springen.
Er kannte diese Rune gut: ein Stern in einem Kreis, den Merlin vor langer Zeit bei den sieben Schritten zur Weisheit gewonnen hatte. Nein, zu seiner Überraschung war die Rune aufgeblitzt, die wie ein Drachenschwanz geformt war.
Trotz seiner Trauer musste Basilgarrad fast lächeln. Denn er spürte ohne jeden Zweifel, dass der Stab sich gerade von ihm verabschiedet hatte.
Während er die riesigen Flügel streckte, beschloss er, die Nacht auf dem Hang beim Sternguckerstein zu verbringen. Er machte es sich bequem, wobei er mehrere Gipfel umstieß und Dutzende Felsklötze hinunterdonnern ließ. Es war zwar nicht der bequemste Fleck, doch er wollte hierbleiben, hoch auf dem felsigen Kamm von Hallias Gipfel, nur von seinen Gedanken begleitet.
Wenige Stunden später fuhr er aus dem Schlaf. Avalons Sterne erleuchteten den Himmel und warfen ein schönes, ätherisches Licht auf die Gipfel rundum. Doch irgendetwas stimmte nicht … genug, um das Drachenherz in seiner Brust hämmern zu lassen und dabei die Steine unter ihm zusammenzudrängen.War es der Kummer, den er über Merlins Abschied empfand? Die Befürchtung, dass er unmöglich allein Avalon retten konnte? Oder die anhaltende Angst, dass irgendwo dort draußen ein Schattengeschöpf noch mächtiger wurde?
Um sich zu beruhigen, wandte er sich dem Sternguckerstein zu. Dank der Berührung des Zauberers glühten die eingeritzten Sternbilder auf dem Felsen, Spiegelbilder der wirklichen hoch über ihnen. Basilgarrad fuhr die Umrisse der Konstellationen nach – zuerst auf dem Stein, dann am Himmel. Da war Pegasus, der über den Horizont galoppierte. Darüber sah er die Brücke, gekräuselte Wasser des Lichtstroms. Und im Westen die mit Sternen übersäten Wiesen, auf denen der verdrehte Baum stand.
Basilgarrad wandte sich dem Zauberstab zu – dem meistumjubelten Sternbild in Avalon und eine Lieblingskonstellation von Merlin. Plötzlich blähte er die Nüstern. Er brüllte vor Entsetzen, ein Gebrüll, das über die Gipfel
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