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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Mama
war völlig meschugge geworden, und ich konnte sowieso nicht mit
Mantel und Handschuhen am Eßtisch des Personals Platz nehmen.
Es war unwahrscheinlich, daß die SPU hier unten meine Wanzen
überprüfen würde, aber ich sah keinen Zweck darin, das
Risiko in Kauf zu nehmen. Meines Wissens nach konnte es eine
landesweite Überwachung geben. Und Mama war völlig
meschugge geworden.
    Ich blieb ruhig in dem Gesprächszimmer und öffnete das
Fenster, um frische Luft und Kühle hereinzulassen,
schließlich trug ich Kleidung für draußen. Der Wind
hatte abgeflaut, und die Luft war still, das Rauschen des Meers
sanft. Und ich war hart. Nein. Aber Hannes Vrieland war dieser
Meinung gewesen. Bei jedem Konflikt zwischen Ihrer Arbeit und
Ihrer Tochter kann es nur ein Ergebnis geben. Ich saß an
dem Tisch. Wie Mama erinnerte ich mich jenes Augenblicks in der
Küche oberhalb des Hafens. Sie konnte mich noch immer
erschüttern. Was, zum Teufel, würde ich der Äbtissin
sagen?
    Sie kam nach der Nach-Essens-Ruhezeit zu mir.
    »Dr. Kahn-Ryder – willkommen in unserer kleinen
Gemeinschaft. Und entschuldigen Sie, daß ich Sie habe warten
lassen.«
    »Warten lassen?« Ich war benommen. »Ich habe nicht
gewartet.«
    »Wie klug. Stets soviel Eile und Hektik. Ich sage meinen
Nonnen, sie sollten die alte Schöpfungsgeschichte lesen. Ein
allmächtiger Gott, der sich einen ganzen Tag für die
Erschaffung des Lichts und der Dunkelheit zubilligt. Und der den
ganzen siebten Tag ruht, obgleich wohl eine Million anderer Dinge
Seine Aufmerksamkeit erfordert hätten. Es ist uns allen eine
Lehre.«
    Ich sammelte meine Gedanken. Darin lag etwas Wahres. Aber Allmacht
hat mich stets beunruhigt – sie ließ so wenig von der
Aufregung der Veränderung übrig.
    »Also zur Sache. Ihre Mutter hat mir erklärt, weshalb
Sie hier sind, Dr. Kahn-Ryder. Vielleicht können wir uns in
meinem Arbeitszimmer unterhalten.«
    Ich folgte ihr. Mamas Erklärungen konnten alles mögliche
bedeuten. Die Äbtissin in ihrem blauen Wollgewand schritt flott
aus und wies beim Gehen auf historische Züge des Gebäudes
hin. Ich roch Weihrauch und kalten Steinstaub. Sie war alt, eine
große, einfache Frau mit schwerer Kinnlade und tief in den
Höhlen liegenden Augen. Ständig mahlte sie mit der
Kinnlade, wenn sie nicht sprach, und auf einem Nasenflügel war
ein Leberfleck, den sie sich hätte entfernen lassen können.
Aber ihr Blick war aufmerksam, ihre Konversation sowohl sanft als
auch befehlend, und ich respektierte sie.
    Wir erreichten ihr Arbeitszimmer: kahle weiße Wände,
ein Kruzifix aus Eisenholz, ein glänzend polierter Schreibtisch
aus Ulme, Großdruck-Bildschirmverbindung zur Klosterbibliothek.
Der Holzofen verströmte Wärme, und sie bot an, mir den
Mantel abzunehmen. Ich zögerte, stimmte dann zu. Sie hatte ein
Anrecht auf die ganze Geschichte.
    Nachdem ich sie erzählt hatte, das Wesentliche, wie ich
aufrichtig hoffe, schwieg sie eine lange Weile, beobachtete mich und
mahlte langsam mit dem Kiefer. Dann nahm sie ihren Federhalter und
kritzelte eine kleine Bemerkung auf das leere Blatt Papier auf dem
Schreibtisch vor ihr. Sie starrte die Bemerkung an.
    »Sie glauben, eine Heilbehandlung für das Syndrom
entdeckt zu haben?«
    »Entwickelt. ›Entdeckt‹ klingt so… so
visionär.«
    Sie nickte schwer und zeichnete einen Kreis um ihre Bemerkung.
»Warum sollte unsere Regierung diese Heilbehandlung
unterdrücken wollen?«
    »Nicht notwendigerweise unterdrücken. Gewiß jedoch
hinauszögern. Es gibt eine Anzahl möglicher Gründe. Am
wahrscheinlichsten…«
    »Entschuldigen Sie bitte, Dr. Kahn-Ryder. Das war eine
unnütze Frage.« Sie zeichnete sorgfältig einen Kasten
um den Kreis. »Regierungen haben selten Gründe, die Sie
oder ich als solche erkennen würden.«
    Sie musterte ihren Kasten und zeichnete eine kurze Linie weg von
der Mitte der jeweiligen Seiten. Ich wartete.
    »Ich könnte mir vorstellen«, sagte sie
schließlich, »daß Sie viel Zeit in die… die
Entwicklung dieser Heilbehandlung gesteckt haben.«
    Ich nickte. »Auf die eine oder andere Weise mein ganzes Leben
als Erwachsene.«
    »Und deswegen ist jetzt Ihre Tochter in Gefahr?«
    »Nein. Nicht wegen des Impfstoffs, sondern wegen der Reaktion
des Wissenschaftsministeriums auf den Impfstoff.«
    »Eine saubere Unterscheidung.« Sie verband die Enden der
kurzen Linien miteinander, wodurch sie eine zweite,
größere Schachtel im 45°-Winkel zur ersten erhielt.
Sie sah sich den Effekt an, legte daraufhin

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