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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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den Federhalter
nachdenklich nieder und stand auf. »Kommen Sie bitte
mit!«
    In einer Ecke ihres Arbeitszimmers befand sich eine schmale
Tür aus Fichte, und dahinter stieg eine steinerne Wendeltreppe
in etwas auf, das ein außen liegendes Türmchen sein
mußte. Wir stiegen stetig empor, die Äbtissin voran, deren
rotgeäderte Füße in den Sandalen von mir aus gesehen
in Augenhöhe unter dem Gewand herausragten. In
regelmäßigen Abständen kamen wir an schmalen Fenstern
vorüber, die jetzt verglast waren und einen noch weiteren
Ausblick auf die Klippen und das in der Ferne liegende Festland
boten. Im Türmchen war es kalt, und es roch nach Spinnen.
    Meine Begleiterin atmete angestrengter. Ich hoffte, daß sie
diesen Aufstieg oftmals unternahm, am besten täglich, so
daß ihr Herz an die Anstrengungen gewöhnt war. Die Stufen
führten immer weiter in die Höhe. Ich wünschte, ich
hätte sie gezählt. Ich hatte keine Ahnung, wie weit wir
gekommen waren, aber mein eigenes Herz klopfte weitaus heftiger, als
mir lieb gewesen wäre.
    In einem dunklen Abschnitt des Turms blieb die Äbtissin
stehen und hantierte längere Zeit herum, und dann öffnete
sich eine Dachluke über mir und überflutete uns mit Licht
und kalter, heller Luft. Sie ging hinauf, und ich folgte ihr hinaus
auf das flache Bleidach des Türmchens, das von steinernen Zinnen
umrandet war. Der runde Bereich hatte etwa einen Durchmesser von
fünf Metern. Wir waren unglaublich hoch über der Insel. Als
ich mich über das Steinwerk hinausbeugte und nach unten sah,
hätte ich fliegen können. Ich hätte in einem Ballon
sein können, der hoch über der Insel dahinfuhr, weit
über den steilen, kupfergrünen Dächern und Kaminen des
Klosters.
    Die Äbtissin lehnte sich neben mir an. Beide waren wir,
jäh und sehr machtvoll, Frauen. Zwei Frauen zusammen. Die Luft,
ungewöhnlich für diese Höhe, war still. Die
Äbtissin nahm mich beim Arm und schritt den vollen Kreis der
Zinnen ab. Dabei sprach sie kein Wort und blickte stets nach
draußen. Ich sah noch mehr Ozean, noch mehr Klippen, noch mehr
Städte, noch mehr Berge, dann konnte es mein Bewußtsein
umfassen. Wir trafen wieder bei unserem Ausgangspunkt ein.
    »Ich habe Sie hierhergebracht«, sagte sie, »damit
Sie schauen und horchen. Aber insbesondere horchen. Und wenn Sie
gehorcht haben, werde ich Ihnen sagen, was Sie hören
können.«
    Ihre Augen glänzten. Unter der unerkennbaren Kuppel ihrer
Gedanken strahlte ihr großes, altes, häßliches
Gesicht. Ich gehorchte ihr. Ich schloß die Augen und lauschte.
Weite Leere. Nichts rührte sich. Kein Vogel schrie. Kein Laut
stieg von der Erde unten auf. Kein Laut. Nur das Blut, das in meinen
Ohren sang.
    Ich öffnete die Augen. »Sie meinen die Stille?« Ich
verstand sie nicht. »Sollte ich sie hören?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Sie hören Frieden, meine
Liebe.« Ihre Stimme zitterte. »Frieden. Zum erstenmal im
Leben der Menschheit ist auf diesem Planeten Frieden. Es gibt keine
Kriege. Keine Kriege, nirgendwo auf dieser Erde.«
    »Keine Kriege?« Ich verstand noch immer nicht. »Sie
meinen das wörtlich?«
    Sie lächelte. »O ja. Keine Kriege. Ganz
wörtlich.«
    Ich blickte an ihr vorüber, wieder hinaus auf die Meere und
Berge. Was sagte sie da?
    »Die Nachricht ist gestern eingetroffen.« Sie war jetzt
ganz sachlich, blies sich in die knochigen Hände, um sie zu
wärmen. »Unsere Kirche hat die weltweite Lage
überwacht. Gestern erreichte man Übereinstimmung im letzten
bekannten organisierten bewaffneten Konflikt – ein Streit um
Wasserrechte in Zentralafrika. Mit der Unterzeichnung dieses
Abkommens ist alles offiziell sanktionierte Blutvergießen in
der Welt erloschen. Die Stille, die sie hören, ist die Stille
des Friedens. Keine Schlachten, keine Verwundungen, kein Betrauern
toter Helden. Frieden.«
    Mir standen Tränen in den Augen. Aber eine ungläubige
Stimme fragte: warum kein Medienereignis? Das Ende des Kriegs, und
keine Kameras, Mikrofone, Reporter?
    Indirekt gab mir die alte Frau Antwort. »Im vierzigsten Jahr
des Bevölkerungsrückgangs«, sagte sie, »sind uns
noch nicht die Männer ausgegangen, die Kriege befehlen. Uns sind
die Frauen ausgegangen, die in ihnen kämpfen sollen.«
    Ich nickte. Eine Entwicklung, die Männer fürchten
würden, daher keine Forschung, die sie herbeiführen
würde. Männer befahlen nicht bloß noch immer Kriege,
sie befahlen letzten Endes vieles dessen, was wir taten. Deshalb kein
Medienspektakel.
    Ich wandte mich ab.

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