Messer, Gabel, Schere, Mord: Mitchell& Markbys Vierter Fall
Satz.
»Alle suchen nach dir, Emma. Ich bin Maud gefolgt. Sie hat mich zu dir geführt.« Als Meredith den Namen der Eselin erwähnte, zuckte Emma zusammen. Sie hob den Kopf und blickte die Erwachsene an.
»Meredith, etwas Schreckliches ist passiert! Es war nicht meine Schuld!« Merediths Hochgefühl verflog. Das getrocknete Blut im Fell der Eselin fiel ihr wieder ein.
»Bist du verletzt, Emma?«, fragte sie besorgt. Emma schüttelte den Kopf, und das zerzauste Haar hing ihr wirr in die Stirn. Sie sagte nichts, doch ihr Blick wanderte zu dem ganz in der Nähe stehenden Wigwam. Meredith ließ das Kind los, erhob sich und machte einen Schritt auf die primitive Behausung zu. Emma packte sie am Jackenärmel und rief erschrocken:
»Nein, nein, geh da nicht rein!« Meredith wandte sich zu ihr um und ging in die Hocke.
»Warum nicht, Emma? Was ist denn da drin?«
»Er ist …«, flüsterte das Kind. Der Wind raschelte in den Tannen. Ganz schwach trug er die Rufe der Suchmannschaft heran. Die Männer schienen den Waldrand erreicht zu haben.
»Keine Angst, Emma«, sagte Meredith fest.
»Es ist gut. Ich werfe nur einen Blick hinein. Nein, du musst keine Angst haben. Ich bin ja bei dir.« Sie ging langsam auf den Wigwam zu und schob beklommen die Plane beiseite, die den Eingang bildete. Ein Schwall warmer Luft kam ihr entgegen, und mit ihm ein Gestank, der augenblicklich Übelkeit erregte. Meredith ächzte und kämpfte gegen den Brechreiz an. Mit über Mund und Nase gelegter Hand spähte sie in das dunkle Innere. Die Luft war voller Insekten. Nach und nach gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und Meredith erkannte eine verkrümmte Gestalt auf dem Boden. Vorsichtig schob sie sich näher heran. Nun sah sie, dass es ein Mann in schmutziger Kleidung war, mit einem Anorak mit Streifen auf den Ärmeln. Die Arme hatte er nach oben gerissen, als versuchte er, seinen Kopf zu schützen. Sein Gesicht … Er hatte kein Gesicht mehr. Es war vollkommen zerstört, zerschlagen zu einer breiigen Masse, der Schädel zerschmettert unter einer Wolke von Schmeißfliegen. Erneut stieg Übelkeit in Meredith auf. Sie stieß einen erstickten Schrei aus, wirbelte herum und stolperte in die frische, nach Harz riechende Luft hinaus. Für einen Augenblick drehte sich alles vor ihren Augen. Dann schwand der Nebel, die Verwirrung nahm ab, und sie bemerkte Emmas totenbleiches Gesicht mit den Augen, die angstvoll auf sie starrten.
»Er ist tot, nicht wahr?«, flüsterte das kleine Mädchen mit tonloser leiser Stimme. Meredith sank auf den nadelbedeckten Boden neben Emma und fragte so ruhig sie konnte:
»Woher ist er gekommen?«
»Er war dort drin. Ich dachte … ich dachte, es wäre leer, eine Räuberhöhle, weißt du? Ich dachte, es wäre in Ordnung für Maud. Aber es war dunkel, und ich hab ihn nicht gesehen, bis ich mit ihr drinnen war. Ich glaube, Maud wusste, dass er dort war. Sie wollte nicht mit mir hineingehen.« Meredith wählte ihre Worte mit Bedacht.
»Hat er dich angefasst, Emma?«
»Er hat mich am Arm gepackt. Ich wollte weglaufen. Ich bin hingefallen, und er hat sich über mich gebeugt, und dann hat Maud … Maud hat es getan.«
»Was hat Maud getan, Emma?«
»Ihn getreten. Maud mag Fremde nicht, und sie war schon immer ein wenig bissig und launisch, aber diesmal hat sie völlig verrückt gespielt! Sie hat immer weiter getreten und gestampft und ganz eigenartige Schreie ausgestoßen … Ich bin aufgestanden und nach draußen gerannt!« Emmas Augen füllten sich mit Tränen.
»Maud hat ihn getötet, Meredith! Ich wusste nicht, dass sie zu so etwas imstande ist!«
»Sie hat ihr Fohlen verteidigt, weiter nichts«, sagte Meredith sanft.
»Du warst ihr Baby, Emma, und der Mann hat dich bedroht. Was Maud getan hat, war reiner Instinkt. Sie wusste, dass er dir etwas tun wollte, und sie hat dich gerettet. Sie hat es aus Liebe zu dir getan.« Meredith nahm Emmas Hand.
»Komm jetzt, Kleines. Wir gehen zurück zu den Leuten, die nach dir suchen. Deine Mutter und dein Vater warten, und sie werden heilfroh sein, dass dir nichts passiert ist.« KAPITEL 14 Mit Emma an der Hand kehrte Meredith auf dem gleichen Weg zurück, den sie gekommen war. Emma schluchzte noch immer leise vor sich hin, doch sie behauptete weiterhin hartnäckig, dass alles in Ordnung sei – was Meredith bezweifelte. Einige Minuten später hörten sie hinter sich ein dumpfes, gleichmäßiges Geräusch und wussten, dass Maud ihnen folgte und den Abschluss bildete
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