Messewalzer
Picassostil auf die erste Seite gemalt.«
Kroll nickte. »Ihr werdet lachen! Der hat erzählt, seine Oma hätte das Buch auf einem Flohmarkt in Malaga gekauft. Ein Interessent hat das Bild prüfen lassen und die haben nur das Alter des Papiers und den Malstil untersucht. Das Bild wurde für echt befunden und der kleine Kunststudent hat eine ordentliche Summe dafür einkassiert. Die ganze Sache ist erst aufgeflogen, als weitere Untersuchungen angestellt wurden, die offensichtlich gründlicher waren.«
»Nette Geschichte«, bemerkte der Staatsanwalt. »Aber was hat das alles mit unserem Fall zu tun?«
»Kommt ihr mit auf den Südfriedhof?«, fragte Kroll. »Ich könnte ein wenig frische Luft gebrauchen.«
»Ich auch«, konstatierte Wiggins und sah den Staatsanwalt an.
Der lächelte seine Mitarbeiter an. »Ich habe zwar gestern nichts getrunken, aber wenn ihr meint, wir sollten die Unterhaltung an der frischen Luft fortsetzen, was soll’s.« Er schloss die vor ihm liegende Akte. »Also gut. Fahren wir!«
Der Leipziger Südfriedhof lag im Schatten des Völkerschlachtdenkmals. Wegen der vielen berühmten Persönlichkeiten, die dort begraben wurden, überwiegend Kaufleute, Politiker und Künstler, wurde die Grabstätte auch Père Lachaise des Ostens oder Leipziger Montmartre genannt. Ein Spaziergang über den Südfriedhof vermittelte dem Besucher eher den Eindruck, durch ein Museum zu wandeln als über eine Begräbnisstätte. Gerade die reichen Kaufleute hatten nicht an ihrer letzten Ruhestätte gespart und übertrumpften sich gegenseitig mit prächtigen Skulpturen und kolossalen Wandgräbern.
Die Polizisten und der Staatsanwalt hatten den Friedhof am Haupteingang betreten und gingen gesetzten Schrittes in östliche Richtung, an den Wandgräbern vorbei zum Krematorium.
Staatsanwalt Reis hatte durchaus nichts gegen den kleinen Spaziergang einzuwenden, er wurde jedoch langsam ungeduldig, weil er an die Arbeit dachte, die er am heutigen Tage noch vor sich hatte. »Also, nicht dass die Herren meinen, ich wüsste die frische Luft oder gar diesen schönen Friedhof nicht zu schätzen, aber ich habe leider noch kein Wochenende.«
Kroll beschloss, seine Begleiter nicht länger auf die Folter zu spannen. Sie bogen in den nächsten Weg auf der linken Seite ab und kamen zu den vielen Gräbern, in denen die normalsterbliche Bevölkerung Leipzigs begraben war. Grabstein drängte sich dicht an Grabstein, die meisten schwarz und poliert.
»Als der Prozess wegen des Mordes an Annemarie Rosenthal eröffnet wurde, war sie seit circa einem Jahr tot. Sie wäre 43 Jahre alt geworden.« Er beschrieb mit dem Arm einen Halbkreis über den Gräbern. Wenn Liane die Tochter von Annemarie Rosenthal ist und die Untersuchungen im Labor das nicht bestätigt haben, gibt es dafür nur eine logische Erklärung.«
»Das Material, mit dem der Abgleich gemacht wurde, ist vertauscht worden«, führte Wiggins den Satz zu Ende.
Kroll nickte. »Wir haben das Gebiss aus der Asservatenkammer dem Labor gegeben.« Er sah wieder über die Gräber. »Ich glaube, es ist nicht besonders schwer, eine passende Leiche zu finden. Jeder Tote hat sozusagen seine Visitenkarte direkt über die Erde gestellt. Geschlecht, Geburtsdatum, Todestag – alles ist ganz einfach abzulesen!«
»Du meinst also, die Leichen wurden vertauscht?«, fragte Staatsanwalt Reis skeptisch.
»Nicht jeder Friedhof wird so gut bewacht wie der Leipziger Südfriedhof«, entgegnete Wiggins emotionslos.
Als sie wieder ihr Büro im Präsidium betraten, sah Kroll zunächst mit einem leichten Schrecken den Aktenstapel, der sich auf seinem Schreibtisch angehäuft hatte. Er ignorierte ihn und ließ sich in seinen Schreibtischstuhl fallen. Schwungvoll legte er die Füße auf die Tischplatte. Er rieb sich die Augen. »Also. Brainstorming! Was wissen wir? Wir wissen, dass Liane die Tochter von Annemarie Rosenthal ist. So weit, so gut! Wenn das stimmt, und das DNA-Ergebnis richtig ist, hat jemand die Leichen vertauscht. Aber warum? Was soll das bringen?«
Wiggins sah seinen Kollegen ungläubig an. Er konnte nicht einschätzen, ob Kroll wirklich nichts wusste oder ob er einfach nur ein temporäres Brett vor dem Kopf hatte. »Denk doch nur an die Bissspuren auf Eimnots Arm! Die haben die …«, Wiggins malte mit den Fingern beider Hände Gänsefüßchen in die Luft, »… Leiche von Annemarie Rosenthal exhumiert und festgestellt, dass der Abdruck des Gebisses nicht identisch war.«
Kroll stand auf
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