Metropolis brennt
sein?“ erkundigte sich die Stadt.
„Schon gut, ich werde es versuchen“, willigte Carmody ein.
Er wurde von der Stadt Bellwether beschwatzt. Gleichzeitig war er aber auch fasziniert. Er wünschte sich nur, er hätte den exakten Grund für das Verschwinden der Bewohner Bellwethers gewußt.
Da die Stadt darauf bestand, verbrachte Carmody diese Nacht in der besten Suite des Hotels König Georg V. Bellwether servierte ihm das Frühstück auf der Terrasse und spielte ein munteres Streichquartett von Haydn, während er aß. Die Morgenluft war köstlich. Hätte Bellwether es ihm nicht verraten, Carmody wäre niemals darauf gekommen, daß sie wiederaufbereitet war.
Als er fertig war, lehnte Carmody sich zurück und genoß den Ausblick über Bellwethers Westviertel – eine nicht unerfreuliche Ansammlung von chinesischen Pagoden, venezianischen Fußgängerbrücken, japanischen Kanälen und einem burmesischen grünen Hügel, der direkt neben einem korinthischen Tempel, einem kalifornischen Parkhaus, einem normannischen Turm und vielen anderen Sehenswürdigkeiten aufragte.
„Der Ausblick ist herrlich“, informierte er die Stadt.
„Ich freue mich so, daß er Ihnen gefallt“, antwortete Bellwether. „Stilprobleme wurden vom Tag meiner Planung an diskutiert. Eine Gruppe plädierte für Gleichförmigkeit: eine harmonische Anhäufung von Formen, die sich zu einem harmonischen Gesamtbild zusammenfügen. Aber so sind die wenigsten Modellstädte. Es handelt sich um trostlos einförmige Einheiten, die von einem Mann oder einem Komitee geplant wurden und keinerlei Ähnlichkeit mit echten Städten haben.“
„Aber du bist doch selbst künstlichen Ursprungs, oder irre ich mich?“ fragte Carmody.
„Selbstverständlich! Aber ich gebe ja auch nicht vor, etwas anderes zu sein. Ich bin keine gefälschte ‚Stadt der Zukunft’ und auch kein nachgebildeter florentinischer Bastard. Ich bin eine echt zusammengeschweißte Ansammlung. Und zusätzlich zu der Zielsetzung, funktionell und praktisch zu sein, bin ich auch noch interessant und stimulierend.“
„Bellwether, für mich bist du okay“, meinte Carmody mit einer plötzlichen Gefühlsaufwallung. „Sprechen alle Modellstädte so wie du?“
„Gewiß nicht. Die meisten Städte haben bisher kein Wort gesagt, Modell oder nicht. Aber das gefiel ihren Bewohnern nicht. Deswegen sahen die Städte zu groß, zu meisterhaft, zu seelenlos und zu unpersönlich aus. Daher wurde ich mit einer Stimme und einem künstlichen Bewußtsein ausgestattet.“
„Ich verstehe“, sagte Carmody.
„Das Wesentliche ist, daß mein künstliches Bewußtsein mich personalisiert, was im Zeitalter der Entpersonalisierung von eminenter Bedeutung ist. Es ermöglicht mir, wirklich verantwortungsbewußt zu sein. Es erlaubt mir, bezüglich der Anforderungen meiner Bewohner kreativ zu sein. Meine Bewohner und ich können miteinander diskutieren. Indem wir ununterbrochen sinnvolle und bedeutsame Dialoge fuhren, sind wir imstande, eine dynamische, flexible und wahrhaft lebensfähige Umwelt zu schaffen. Wir können uns gegenseitig ohne nennenswerten Individualitätsverlust modifizieren.“
„Klingt nicht schlecht“, mußte Carmody eingestehen. „Abgesehen davon natürlich, daß du niemanden mehr hast, mit dem du einen ernsthaften Dialog führen kannst.“
„Das ist der einzige Mißstand in dem Plan“, gab die Stadt zu. „Aber vorerst habe ich ja Sie.“
„Ja, das stimmt“, entgegnete Carmody und fragte sich, weshalb die Worte in seinen Ohren einen so unerfreulichen Tonfall hatten.
„Und Sie haben selbstverständlich mich“, fuhr die Stadt fort. „Es handelt sich um eine reziproke Beziehung, und das sind eigentlich die einzigen Beziehungen, die sich lohnen. Aber nun, mein lieber Carmody, würde ich Sie gerne etwas in mir herumführen. Wir können Sie seßhaft machen und regularisieren.“
„Wie bitte?“
„War nicht so gemeint, wie es sich vielleicht angehört hat“, sagte die Stadt. „Es handelte sich einfach um einen unglücklichen wissenschaftlichen Fachausdruck. Aber Sie verstehen doch sicher, daß eine reziproke Beziehung bestimmte Vorschriften für beide Beteiligten nötig macht. Andernfalls könnte sie nicht gut funktionieren, oder?“
„Es sei denn, es handelt sich um eine Laissez-faire -Beziehung.“
„Wir wollen doch versuchen, uns dessen zu entledigen“, ereiferte sich Bellwether. „Wissen Sie, laissez-faire wird sehr leicht zur Doktrin der Emotionen, die unaufhaltsam
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