Mich gibt s ubrigens auch fur immer
der globalen Erwärmung und der wachsenden Armut. Das ist nur eine Seite des Problems. Egoistisch bin ich zu allem Ãberfluss auch noch. Der Gedanke, jahrelang kaum mehr eine Stunde mit Hrithik allein zu haben, nicht mehr spontan mit ihm durch die Kissen tollen oder etwas anderes unternehmen zu können, macht mich unruhig.
Hrithik! Bei dem Gedanken an unsere nächste Begegnung drehen meine SchweiÃdrüsen durch. Ich weià immer noch nicht, wie ich ihm mein blödes Verhalten erklären soll.
»Setz dich einen Moment zu mir«, bittet Lilly und nimmt wieder Platz. Die Cafeteria ist absolut leer, es gibt also keinen Grund, so zu tun, als würde ich arbeiten. Ein Plausch mit Lilly ist mir jetzt ohnehin viel lieber.
»Du hast mir immer noch nicht erzählt, was du an den Weihnachtstagen hier machst. Ist dein Freund jetzt ganz allein zu Hause?« Sie stützt den Kopf auf ihre Hand und schaut mich nachdenklich an. Mir steigt ihr Duft in die Nase. Ich sauge ihn dankbar auf, weil er mich immer ganz friedlich stimmt. Ich rieche eine Mischung aus Lakritz, Vanille und Veilchen. Vielleicht kommt das von den Veilchenpastillen aus den altmodischen Dosen, die sie andauernd nascht. Eine Dose davon hat sie mir mal geschenkt. Sie meinte, das Mädchen darauf sähe genauso aus wie ich. Es war ein altmodisches, zartes Frauenporträt wie aus dem 19. Jahrhundert: ein herzförmiges Gesicht, lange schwarze Locken und ein verträumter Blick aus groÃen blauen Augen. Das war schmeichelhaft. Mein Haar reicht nur bis zur Schulter, und meine Lippen sind viel weniger voll.
»Du weiÃt doch, mein Freund ist Hindu. Deswegen ist es ihm egal, und mir bedeutet es auch nichts.«
»Oh, wie schade«, sagt Lilly und schaut betrübt auf die Tannenzweige mit den Kugeln an den Fenstern. »Ich mochte Weihnachten immer so gerne. Vor allem als die Kinder noch klein waren.«
Vielleicht ist es ihr anheimelnder Duft, vielleicht schwappt ihr Anflug von Weihnachtsrührseligkeit auf mich über, aber ich muss es jetzt einfach aussprechen. »Mein Freund hat mir heute Morgen einen Heiratsantrag gemacht.«
Lilly strahlt, als hätte sie selbst gerade einen bekommen. »Oh, das ist ja wunderbar! Ich freue mich für dich. Herzlichen Glückwunsch. Oh, wie gerne wäre ich dabei, wenn du dein Brautkleid aussuchst. Du wirst so hübsch aussehen.«
Betrübt schaue ich auf den Tisch.
»Oh, Entschuldigung. Auch im Sari wirst du natürlich bezaubernd aussehen, oder was man als indische Braut so trägt.«
Ich erlöse sie schnell aus ihrer Verlegenheit. »Darum geht es gar nicht. Früher wollte ich vielleicht ein tolles Kleid, heute wäre mir ein Termin beim Standesamt fast noch lieber, weil er unkomplizierter ist. Falls es überhaupt zu einer Hochzeit kommt â¦Â« Verzweifelt lasse ich meinen Kopf auf die Tischplatte fallen. Als ich ihn leicht anhebe, hat Lilly ihre Augenbrauen in schwindelerregende Höhen gezogen.
»Er hat mir einen Antrag gemacht â und ich bin aus der Wohnung gestürmt.« Wie bescheuert das klingt, fällt sogar mir auf.
»Das ist aber nicht schön, Tanja. Der Arme. Andererseits bekommen fast alle Bräute zwischendurch kalte FüÃe. Besser jetzt, als in der Nacht vor der Hochzeit. Nachher wirfst du dich einfach in seine Arme, säuselst irgendetwas Romantisches und sagst laut vernehmlich Ja.«
So einfach könnte es sein. Genau das sollte ich tun. Doch das merkwürdige Gefühl in meiner Bauchgegend hat sich fest eingenistet.
»Du hast bestimmt recht. Fröhliche Weihnachten, Lilly«, sage ich und küsse sie sanft auf die Wange.
Danach arbeite ich eigentlich nur noch abwesend vor mich hin und grübele ergebnislos, bis ich die Cafeteria endlich schlieÃen kann. Ich kann mir ein Leben ohne Hrithik wirklich nicht vorstellen. Und ich habe auch keine Angst davor, mich für immer und ewig an ihn zu binden. Ich habe nicht mal unterbewusst den Wunsch zu schauen, ob da drauÃen im Meer der Möglichkeiten ein noch besserer Fisch für mich herumschwimmt. Die Wurzeln meines Problems sind wohl eher an ein Thema geknüpft, mit dem ich mich seit Jahren konsequent nicht auseinandersetze: meine Eltern. Der emotionale Aufruhr beim Antrag hat alles wieder wachgerüttelt. Nicht nur Bilder von meiner Mutter, sondern auch von Kurt. Ich weià nur noch nicht genau, inwiefern mich mein abwesender Vater vom absoluten
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