Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
Schwiegermutter und die Tante haben auf mich eingeredet, dass ich irgendetwas zu mir nehmen müsse, ich würde sonst nicht durchhalten. Also habe ich ein halbes Hähnchen, Pommes frites und ein Brötchen in mich hineingezwungen.
Ich weiß nicht, warum es kein türkisches Essen gab. Aber es hätte mir sicher geholfen. Ich fühlte mich so fremd hier, so allein. Ich kannte so gut wie niemanden. Und immer wieder fragte ich mich, warum meine Familie nicht bei mir war. Warum waren meine Eltern, meine Geschwister nicht hier? Nur der Onkel war mit seiner Frau und seinen drei Kindern aus Norddeutschland gekommen. Alle anderen Familienmitglieder waren in der Türkei. Sicher wäre es viel zu teuer gewesen, sie hierher einzuladen. Außerdem hatte meine Mutter keinen Pass, das heißt, selbst wenn sie es sich hätten leisten können, wäre eine Reise ohne Einverständnis ihres Mannes nicht möglich gewesen. Aber ich wünschte mir nichts mehr, als dass sie in dieser Stunde bei mir wäre.
Nach dem Essen wurde die Hochzeitstorte serviert. Das war ein dreistöckiges Gebilde aus Kuchen und Sahne mit einem winzigen Brautpaar und einer Rose oben drauf. Das war die erste Torte meines Lebens. Mustafa und ich mussten sie anschneiden. Danach gaben wir uns gegenseitig je eine Gabel davon. Aber ich weiß noch, dass mir die Torte überhaupt nicht geschmeckt hat. Ich fand sie viel zu klebrig und süß. Die Gäste, es müssen tatsächlich an die dreihundert gewesen sein, saßen jetzt alle und aßen ebenfalls Torte. Danach mussten wir uns wieder auf dieTanzfläche begeben. Nach einem kurzen Tanz bekamen wir die Geschenke überreicht. Wir nahmen die Pakete und Päckchen in Empfang, bedankten uns höflich und reichten sie weiter an die Schwiegermutter, die sie auf einem Tisch an der Seite des Saals stapelte. Aber viele der Gäste schenkten uns auch Geld. Das wurde mir, ganz so wie es bei uns Brauch ist, ans Kleid gesteckt. Ich weiß nicht mehr, wie viel Geld ich auf diese Weise gegen Ende der Feier an meinem Kleid herumtrug, aber ein paar tausend Mark werden es schon gewesen sein. Die Scheine hat meine Schwiegermutter noch im Saal abgemacht und eingesteckt. Wir, Mustafa und ich, haben keinen Pfennig davon gesehen.
Die Feier ging zu Ende. Es muss so gegen elf Uhr abends gewesen sein, als mich die Schwiegereltern ins Hochzeitsauto verfrachteten. Endlich durfte ich nach Hause. Mustafa war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr da. Dort, im Lokal, hatte ich nicht darauf geachtet. Aber zu Hause fiel mir natürlich sofort auf, dass er nicht mitgekommen war. Wo war er? Was machte er jetzt? Ich war extrem nervös. Irgendwann erfuhr ich dann, dass ihn Freunde entführt hatten. Ich fand das komisch, aber gesagt habe ich nichts. Die Schwiegermutter wollte mich ins Bett schicken. Sie sagte: »Komm, Ayşe , zieh dich aus und schlaf!«
Aber davon wollte ich nichts wissen, ich musste doch auf ihn warten, er war doch jetzt mein Mann! Wie es Sitte war, musste ich im Hochzeitskleid auf ihn warten. Er musste meinen Schleier heben und mich küssen. Im Schlafanzug ging das doch nicht. Außerdem mussten wir auch noch beten. Tante Gül und ihre Schwiegertochter Serpil verstanden, was ich meinte. Sie blieben und warteten mit mir. Um vier Uhr morgens schließlich kam Mustafa.
Er nahm mir den Schleier ab und küsste mich. Danach hat er mir sein Geschenk gegeben. Es war eine kleine goldene Kette, die mir sehr gefiel. ›Vielleicht wird doch noch alles gut?‹, dachte ich in diesem Moment bei mir. Wir haben eine Kleinigkeit gegessen und uns dann auf das gemeinsame Gebet vorbereitet. Dazu mussten wir uns waschen und umziehen. Ich bin in ein ganz normalesKleid mit langen Ärmeln geschlüpft und habe das Kopftuch umgebunden. Das ist wichtig. Beim Gebet müssen alle Körperteile bedeckt sein. Dann hat Tante Gül mit uns gebetet. Sie saß mit dem Rücken zu uns und bat Allah, unsere Ehe auf einen guten Weg zu bringen.
Danach sind wir in unser Zimmer gegangen. Das gehörte zur Feier des Tages uns ganz allein. Dort bekam ich plötzlich panische Angst. Würde er mich wieder vergewaltigen? Würde es wieder wehtun? Aber Mustafa schaute mich nicht einmal an. Müde zog er sich aus, legte sich hin, und innerhalb von Sekunden war er eingeschlafen. Ich konnte es nicht glauben. Er wollte gar nicht? Er wollte nicht mit mir schlafen? Ich zog mich ebenfalls aus und legte mich hin. Aber geschlafen habe ich in dieser Nacht kaum. Am nächsten Morgen sind wir so gegen zehn Uhr aufgewacht. Ich wollte
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