Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
wieder einen Job und würde erst abends kommen. Er war auch nicht erreichbar. Ich hatte meinen Arzt gebeten, Mutter zu benachrichtigen, damit sie sich um die Kinder kümmerte. Nachdem man die Nierensteine zertrümmert hatte, wurde ichwieder entlassen. Seitdem habe ich immer wieder Nierenprobleme gehabt.
Nach meinem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt ging das Leben gleich weiter wie zuvor. Ich hatte keine Zeit, mich auszuruhen. Die Kinder waren bei Mutter gewesen, aber Mustafa hatte im Haushalt alles stehen und liegen lassen. Geschirr- und Wäscheberge türmten sich, die Betten waren nicht gemacht, und insgesamt war die Wohnung ziemlich verwahrlost. Es dauerte eine Weile, bis wieder alles im Lot war. Aber Gott sei Dank hatte ich meine Kinder. Vor allem die beiden Großen, sie und ich, wir waren ein gutes Team. Can und Muhammed haben mir immer geholfen. Während ich kochte, machte einer die Betten, der andere saugte oder machte die Wäsche. Und nach dem Essen räumten sie den Tisch ab und wuschen das Geschirr, da brauchte ich gar nichts zu sagen. Und als sie fertig waren, haben sie mir bei der Heimarbeit geholfen. Auf meine Jungen konnte ich mich immer verlassen.
Die Führerscheinprüfung bestand ich erst auf den zweiten Anlauf. Beim ersten Mal war ich an der Sprache gescheitert. Mustafa war nicht böse, er besorgte mir einen Dolmetscher, und dann ging alles gut. Als ich nach Hause kam, führte Can einen Freudentanz auf, und ich schnappte mir sofort das Auto und fuhr mit meinem Sohn erst mal ein paar Runden. Ich glaube, er war sehr stolz auf seine Mama.
Von außen betrachtet, waren wir wohl eine ganz normale türkische Familie, wie es inzwischen viele in unserem Dorf gab. Wir hatten eine hübsche Wohnung, gingen einer geregelten Arbeit nach. Unsere Kinder gingen in den Kindergarten und in die Schule. Wir grüßten die Nachbarn und hatten mit niemandem Probleme. Ja, wir waren ehrbare Leute. Wie es hinter den Kulissen aussah, wusste niemand. Nicht einmal meine eigenen Kinder wussten von den Problemen zwischen Mustafa und mir. Geschlagen hat er mich immer nachts, und vergewaltigt auch. Aber meine Schreie waren stumm, die hörte niemand.
Was in mir vorging? Bei mir kam die Familie immer zuerst.
Wir hatten schließlich vier Kinder, da gibt man nicht so leicht auf. Ich war ja auch lange optimistisch gewesen und hatte lange geglaubt, dass alles – irgendwie – gut werden würde. Und immer wieder habe ich mich zusammengerissen und geschluckt und geschwiegen.
Doch dann kam der Laden. Mustafa hatte irgendwann im Jahr 1995 eine neue Idee. Er wollte ein türkisches Lebensmittelgeschäft eröffnen, den passenden Raum hatte er auch schon. In unserer Moschee war ein Laden zu vermieten. Das ist nicht ungewöhnlich, in vielen türkischen Moscheen hier in Deutschland gibt es kleine Geschäfte. So eben auch in unserer. Sie bestand aus zwei Gebetsräumen, einem Teeraum für die Männer und eben diesem Laden. Mustafa war seit ein paar Jahren regelmäßig in der Moschee, weil er die Kinder immer in die Koranschule brachte. Jedes Wochenende hielt er sich dort auf und wusste genau Bescheid. Als man ihm das Angebot machte, hat er nicht lange gezögert. Dreißig Quadratmeter Ladenfläche für 2600 DM Monatsmiete. Er könne dort Obst, Gemüse, Brot, Käse und andere türkische Lebensmittel verkaufen, schwärmte er, nachdem er den Mietvertrag unterschrieben hatte.
Ich war fassungslos. Wir zahlten immer noch die restlichen Raten von dem LKW-Desaster ab, und mein Mann ließ sich schon wieder auf ein neues geschäftliches Abenteuer ein. Aber Mustafa ließ sich nicht beirren. Das sei der einzige türkische Laden im Dorf und der würde sicher gehen. Ich könnte ja jetzt, da ich endlich einen Führerschein besitze, den Einkauf erledigen, und er würde sich in den Laden stellen und um den Verkauf kümmern. Zu der Zeit war er bei einer Baufirma beschäftigt und musste körperlich schwer arbeiten. Er war ziemlich unzufrieden, das wusste ich. Aber er hatte ein sicheres Einkommen, und das war mir wichtig. Zumindest solange wir noch Schulden hatten. Besonders ärgerte mich, dass er – wieder einmal – hinter meinem Rücken einen Vertrag abgeschlossen und mich vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Aber jetzt war es schon geschehen. DerVertrag war unterschrieben, und im September 1995 würde er sein kleines Geschäft eröffnen.
Seit der kleine Ali im Kindergarten war, arbeitete ich wieder im Schichtdienst. Auch ohne Mustafas Laden hätte
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