Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
machte mir einen Termin bei der örtlichen Schuldnerberatung. Die Mitarbeiterin dort war sehr nett und machte mir klar, dass ich – da immer noch verheiratet – auch für die Schulden meines zahlungsunfähigen Ehemannes aufzukommen habe. Darauf wäre ich nie im Leben gekommen, aber so war es gesetzlich geregelt. Die Dame rechnete dann alles zusammen und kam auf einen Betrag von knapp 50000 DM. Mir wurde schwarz vor Augen. Wie um alles in der Welt sollte ich so einen Betrag je zurückzahlen können? Sie rechnete alles durch und kam zu dem Schluss, dass mir nach Abzug aller Verbindlichkeiten im Monat noch 114 DM zum Leben blieben.
Ich brauchte eine Nebenbeschäftigung, so viel war klar. Mein Lohn würde nicht reichen, ich musste noch etwas dazuverdienen. Eine Kollegin in der Firma wusste eine Putzstelle. Ich stellte mich sofort vor und bekam die Stelle tatsächlich. Die Schuldnerberaterin hatte inzwischen einen Plan erarbeitet und erklärtemir, wie ich die Schulden in den Griff bekommen würde. Über Jahre würde ich jeden Monat ungefähr 500 DM bezahlen müssen, um die Schulden meiner Ehe abzutragen.
Im Dezember 1998 fand die Verhandlung wegen Kindesentführung statt. Obwohl meine Kinder ohne mein Wissen oder mein Einverständnis in die Türkei gebracht worden waren, stellte der vorsitzende Richter fest, dass es keine hinreichenden Beweise für eine Kindesentführung gebe. In diesem Fall gelte das türkische Recht, und da läge das Sorgerecht wohl beim Vater. Ich konnte der Verhandlung wegen der vielen Fachausdrücke in deutscher Sprache nicht wirklich folgen, so dass Frau M. vom Frauenverein mir hinterher noch mal das Wichtigste erzählte. Sie war fassungslos. Mustafa war also damit durchgekommen. Erst hatte er die Polizei in die Flucht geschlagen, und nun hatte auch ein deutsches Gericht vor seinen Machenschaften kapituliert. Inzwischen war so viel passiert, dass ich mich darüber gar nicht mehr aufregen konnte. Aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich die Kinder früher oder später zu mir holen würde.
Im Winter, kurz vor Jahreswechsel, hatte ich eine passende Wohnung gefunden. Sie war zehn Kilometer weit von unserem Dorf entfernt. Weit genug also, um Mustafa und den Schwiegereltern nicht ständig über den Weg zu laufen. Außerdem war sie groß genug, dass wir alle vier dort Platz finden würden. Die Schulden hatte ich im Griff, und auch mit meinem neuen Freund klappte es gut. Irgendwann hatte ich Zoran einfach nachgegeben. In dem ganzen letzten Jahr war er immer für mich da gewesen und hatte mich unterstützt, wo er konnte. Hatte mir geholfen, wenn Mustafa mir wieder einmal die Reifen aufgeschlitzt hatte oder mich auf Parkplätzen oder am Telefon bedrohte. Ein Leben ohne Zoran konnte ich mir nicht mehr vorstellen. Dabei hätte ich nicht einmal sagen können, ob ich ihn damals wirklich liebte. Er war ein Mann, und er begehrte mich. Und das erste Mal in meinem Leben hatte ich Spaß im Bett. Nachdem wir uns geliebt hatten, lag ich oft noch lange wach und dachte über all dieverlorene Zeit nach. Die Zeit, in der mich Mustafa geschlagen und vergewaltigt hatte.
Anfang April 1999, fünfzehn Monate nach meiner Flucht, wurde ich offiziell von Mustafa geschieden. Er bekam das Sorgerecht für Muhammed, der inzwischen fast siebzehn Jahre alt war. Die beiden Kleinen wurden mir zugesprochen. Jetzt musste ich sie nur noch aus der Türkei holen. Das erwies sich als schwierig, weil sie mittlerweile seit fast einem Jahr nicht mehr in Deutschland lebten und ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen war. Unmittelbar nach der Scheidung habe ich viel Zeit auf Ämtern verbracht. Immer wieder musste ich das Urteil vorlegen und beweisen, dass ich das Sorgerecht für die Kinder tatsächlich hatte. Nach drei Wochen war es endlich so weit. Ich erhielt die Erlaubnis, meinen achtjährigen Sohn und die zwölfjährige Tochter im Rahmen des Familiennachzuges wieder nach Deutschland zu holen. Mitte Mai 1999, genau ein Jahr und eine Woche nach ihrer Entführung, flog ich zusammen mit meinem geschiedenen Mann nach Istanbul.
In der Ankunftshalle des Flughafens warteten Birgül, Ali und Muhammed. Sie standen zusammen mit meinem Schwager Metin vor der Absperrung. Während wir noch unsere Taschen vom Laufband einsammelten, sprangen sie schon ungeduldig auf und ab. Ich musste mich auf Mustafa stützen, vor meinen Augen drehte sich alles, und ich zitterte am ganzen Körper, als die beiden Kleinen auf mich zuliefen. Endlich konnte ich
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