Michael, der Finne
nach Reitknechten, die unsere Pferde tränken und abreiben mußten. Der Herzog erwartete offenbar schon eine Nachricht, denn bald darauf wurden wir zwischen zwei Wachen ins Schloß geführt. Dann nahm man uns die Waffen ab, darunter selbst mein Tischmesser, woraus ich schloß, daß Herzog Johann ein mißtrauischer Herr sein mußte.
Andy, der gar nicht auf Herzöge und derlei Volk erpicht war, wollte lieber in Reichweite unserer Waffen bleiben und versuchen, eine Mahlzeit zu ergattern. Mich geleitete ein weißhaariger Kämmerer in des Herzogs Studierzimmer, wo ich Seine Gnaden erwartete.
Er kam in einer schäbigen Samtmütze und einem schmierigen Wams. Er schien erregt, fragte mich aber freundlich, wer ich sei und warum ich es für nötig gehalten hätte, einen alten Mann zu stören, statt meinen Brief einem Diener zu übergeben. Ich konnte mich ihm nur zu Füßen werfen, um seine Gnade bitten und gestehen, daß ich einen Brief Thomas Müntzers überbrachte.
Der gute Alte bekreuzigte sich und öffnete den Brief behutsam, als fürchtete er, sich die Finger daran zu verbrennen. Mühsam buchstabierte er ihn zu Ende und sank dann mit einem Seufzer in seinen Lehnstuhl.
»Wer bin ich armer Sterblicher, daß ich Gottes Ratschluß kennen sollte? Anscheinend kennt ihn jeder besser als ich – jeder überhäuft mich mit Ratschlägen! Mein geliebter Bruder, der Kurfürst, liegt in den letzten Zügen, und ich habe mich stets auf sein Urteil verlassen. Als er von dem Bauernaufstand hörte, nahm er seine schwache Kraft zusammen, um mir zu schreiben und von jeder Gewaltanwendung abzuraten. Wer weiß, so meinte er, ob diese armen Teufel nicht gute Gründe für ihr Vorgehen haben? Sowohl die geistlichen als auch die weltlichen Behörden haben sie unterdrückt, besonders dadurch, daß sie die Verbreitung des göttlichen Wortes verhinderten. Wir können nur den Allmächtigen bitten, uns unsere Sünden zu vergeben und ganz auf ihn vertrauen. So schrieb mein lieber Bruder, der Kurfürst. Aber nach den jüngsten Meldungen ist er dem Tode nahe. Bald muß ich die schwarze Fahne auf dem Turm hissen und als neuer Kurfürst das Geschick seiner Lande in meine Hände nehmen.«
Er schwieg und schüttelte das zitternde Haupt; ich redete ihn ehrerbietig an.
»Darf ich es wagen, dies als Eure Antwort hinzunehmen? Darf ich meinem Auftraggeber bestellen, daß der gute Herzog ihm nichts Böses will und nicht beabsichtigt, gegen die Bauern mit Gewalt einzuschreiten?«
Er fiel hastig ein: »Nein, nein! Sagt um Gottes willen niemand, daß ich so gesprochen habe! Doktor Luther ist derzeit mein Gast, und er ist ein strenger und feuriger Diener des Herrn. Erführe er davon, so würde er mir aufs neue seine Bannflüche in die Ohren gellen, und das ist mehr, als ich ertragen kann. Ich habe meine Streitmacht schon aufgeboten, und mein Vetter Herzog Georg hat versprochen, aus Leipzig gegen die Bauern zu reiten. Viele andere haben mir ihre Hilfe angeboten, so daß ich meinen Entschluß nicht mehr ändern kann, selbst wenn ich es wollte. Am besten wird Euch Doktor Luther selbst alles Notwendige mitteilen. Was mich betrifft, so grüßt Thomas Müntzer und heißt ihn für mich beten, wenn er wirklich ein rechter Diener des Herrn ist. Fordert ihn auf, die Waffen niederzulegen und in ein anderes Land zu fliehen, sonst wird er, fürchte ich, ins Verderben rennen und viele mit sich in die Arme des Todes reißen.«
Herzog Johann stand eilig auf, reichte mir die Hand zum Kuß und verließ das Gemach; Müntzers Brief ließ er offen auf dem Tisch liegen, damit Doktor Luther ihn lesen solle. Ich erwartete zitternd die Ankunft des großen Mannes, dessen Ruhm sich in wenigen Jahren durch ganz Deutschland und bis in ferne Länder verbreitet hatte. Diese Begegnung fürchtete ich mehr als die Audienz beim Herzog.
Allein meine Furcht war grundlos. Der große Lehrer trat ein, in Doktorhut und Talar, in der tintenbeklecksten Hand einige eben geschriebene Seiten, die er hin und her schwenkte, damit sie trockneten. Auch im Gesicht trug er Tintenspuren. Er hatte offenbar eine dringende Arbeit unterbrochen, um mit mir zu sprechen, denn er überlas noch das Geschriebene und lachte ein wenig in sich hinein, obwohl das Lächeln nichts Gutes verhieß. Ich konnte ihn ein Weilchen mit Muße beobachten und fand an ihm nicht mehr den schmächtigen, zergrübelten, frühgealterten Mönch, der gegen Papst und Kaiser aufgestanden war und dessen Gesicht jedermann von zahllosen Bildern her
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